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CDU-Nachwuchs als Drückeberger

■ Der Vorsitzende der Jungen Union Hellersdorf hat keinen Bock auf den Bund. Feldjäger suchten den 21jährigen Bezirksverordneten im BVV-Büro. Auch der JU-Chef entdeckt die Vorzüge des Zivildienstes

Während jeder stramme Bursche den Wehrdienst als Ehrensache ansieht, hat der Vorsitzende des Kreisverbandes der Jungen Union Hellersdorf keinen Bock auf den Bund. Mit einem Gang vor das Verwaltungsgericht und Zurückstellungsanträgen versucht Mario Czaja, der vor drei Jahren für das öffentliche Zeigen der Reichskriegsflagge auf die Bezirksbarrikaden ging, sich um den Wehrdienst zu drücken.

Obwohl das jüngste Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Hellersdorf bereits im Mai seinen Einberufungsbefehl für den 1. Juli erhalten hatte, hat der 21jährige den Sommer nicht in der Kaserne bei Flensburg verbracht. Er sei vom Wehrdienst beurlaubt gewesen, solange das Verfahren laufe, sagt er.

Doch ganz so korrekt, wie Czaja den Vorgang schildert, kann es nicht sein. Denn vor drei Wochen tauchten im Büro des BVV-Vorstehers Peter Winkel (PDS) unverhofft Feldjäger auf – auf der Suche nach Mario Czaja. „Als Kommunalpolitiker hat Czaja eine Ausstrahlung auf die Jugend“, kritisiert Winkel dessen Verhalten. Selbst der Ältestenrat habe sich „verwundert“ gezeigt.

Doch auch Czaja ist nach dem Mißerfolg beim Verwaltungsgericht nicht untätig geblieben. „Über persönliche Kontakte habe ich probiert, etwas in die Wege zu leiten“, erzählt er freimütig. Er sei zum Kreiswehrersatzamt gefahren, „um die Situation im Gespräch zu erläutern“. Genauer wollte er sich nicht dazu äußern. Doch seine Bemühungen waren vergeblich.

Im September mußte Czaja zum Bund. Nach Angaben des Leiters des Kreiswehrersatzamtes, Bernhard Steimle, gilt Czajas Ausbildung zum Finanzwirt nicht als vom Wehrpflichtgesetz „geschützt“. „Geschützt“ ist nur die erste Ausbildung. Und die hat Czaja bereits mit dem Abitur gemacht.

Würde Czaja für Bundes- oder Landtagswahlen oder für das Europäische Parlament kandidieren, würde er automatisch zurückgestellt. Würde er gewählt, könnte er auf Antrag beurlaubt werden. Doch als BVV-Mitglied mit Hochschulreife gibt es kein Pardon.

Im Vergleich zu einem „normalen“ Rekruten geht es Czaja jedoch eigentlich gut. Wegen seiner politischen Betätigung kann er seinen Wehrdienst in der Kaserne in Gatow ableisten. Um an den BVV- Sitzungen teilnehmen zu können, muß er auch nicht im Doppelstockbett in der Kaserne schlafen, sondern kann um 15 Uhr nach Hause gehen und abends sein Haupt auf das heimische Kopfkissen betten.

Doch auch diese Vergünstigungen reichen Czaja nicht. Der angehende Finanzwirt, dessen Ausbildung bei einer Finanzservice-Beratungsgesellschaft in Hellersdorf derzeit ruht, hat erneut einen Antrag laufen: auf Verkürzung der zehnmonatigen Wehrdienstzeit. Der 21jährige begründet sein mäßiges Interesse für den Bund mit seiner Ausbildung, die er bei selbstverschuldeter Unterbrechung selber zahlen müsse.

„Ich bin Selbständiger in einer Firma“, so Czaja, „das ist kein normales Arbeits-, sondern Vertragsrecht.“ Außerdem müsse er ständig „geistig und aktiv die systematischen Veränderungen des Finanzmarktes“ begleiten. Im übrigen entspräche die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland nicht mehr „den zeitlichen Gegebenheiten“.

Auch der Landesvorsitzende der Jungen Union, Thorsten Reschke, der derzeit wegen seines Studiums vom Bund befreit ist, will den Armeedienst zum Thema unter den 3.800 Mitgliedern der CDU-Nachwuchsorganisation machen. Er wolle „dem Reifeprozeß der Jungen Union nicht vorgreifen“, so Reschke, doch es sei „grundsätzlich sinnvoll, dem Trend zum Zivildienst zu folgen“.

Der 26jährige hofft, „spätestens im Frühjahr nächsten Jahres“ das Thema auf die Tagesordnung der Jungen Union zu setzen. Barbara Bollwahn

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