: Bunter wohnen Von Klaudia Brunst
Irgendwie hat uns die Perspektive, bald Zentralheizung zu bekommen, beflügelt. „Eigentlich könnte unser Wohnzimmer auch mal einen neuen Anstrich vertragen“, meinte meine Freundin vor ein paar Wochen und nahm unsere leicht ergraute Erfurter kritisch unter die Lupe. „Vielleicht sollten wir mal wieder streichen?“
„Keine schlechte Idee!“ gab ich zurück, denn die Entscheidung, die ganze Wohnung in aller Eile mit Rauhfaser zuzupflastern, hatte ich schon bei unserem Einzug bereut. Und besonders, daß ich es meiner Nachbarin überlassen hatte, das Wohzimmer zu tapezieren. „Dann machen wir es aber gründlich“, schlug ich vor, „und kleben diesmal auf Stoß.“ Ein bißchen Farbe wäre doch nicht schlecht, wagte ich mich mutig vor, und daß mir so ein gedeckter Altrosaton eigentlich am besten gefallen würde. „Pink?“ brauste meine Freundin erwartungsgemäß auf. „Ich dachte, das hätten wir ausdiskutiert!“ Dann spulte sie ihr komplettes Vorurteilsrepertoire gegen meine Lieblingsfarbe ab und schloß demonstrativ mit: „Wenn schon nicht Weiß, dann ein zartes Goldgelb!“
Natürlich würde ich Eitergelb keinesfalls zulassen, aber das mußte ich meiner Freundin ja nicht gleich auf die Nase binden. Hier war Überzeugungsarbeit zu leisten. Heimlich fuhr ich nach der Arbeit ins „Tapetenparadies“ und erstand eine wunderschöne Tapetenrolle in einem zart gedeckten, leicht verwischten Altroséton, der auf das Entzückenste mit dem blauen Bezug unseres Ikea-Sofas harmonierte. Um ein sichtbares Zeichen zu setzen, nagelte ich am Abend eine Bahn an die freie Wohnzimmerwand. Meine Freundin verstand sofort. Am darauffolgenden Abend bestieg sie ihrerseits die Leiter und befestigte neben meiner Bahn einen gepunkteten Alptraum in Eitergelb und Badezimmerocker, von dem sie behauptete, daß er sich in den Vorhängen wiederfände und bestens mit den messingfarbenen Gründerzeitklinken korrespondiere. Von meinem Vorschlag hielt sie natürlich gar nichts. „Ich hänge mir doch kein Roastbeef an die Wand!“ war ihr einziger Kommentar. „Denk dir was anderes aus.“
Was ich natürlich tat. Ich konterte ihre ästhetische Provokation mit einer noch diskreteren, phasenweise ins rostfarbene tendierenden Strukturtapete, die meine Freundin mit „Krampfadern!“ und einem banalen Post-it-Gelb quittierte. So ging es in einem fort. Am Ende der Woche war unser Wohnzimmer nicht wiederzuerkennen. „So kommen wir nicht weiter“, beschloß ich und schlug vor, am letzten Sonntag unserer Doppelkopfrunde die Entscheidung zu überlassen. Aus Fairneßgründen einigten wir uns darauf, das Thema selbst nicht anzusprechen, sondern auf die unbeeinflußten Reaktionen unserer Gäste zu vertrauen.
Als die Stunde der Wahrheit gekommen war, hielten wir es beide vor Aufregung kaum noch aus. Zu unserer großen Enttäuschung schienen weder unsere Nachbarin noch mein schwuler Freund unser Werk überhaupt nur zu registrieren. Als wir die beiden schließlich gegen Mitternacht zur Tür brachten, drehte sich mein schwuler Freund schließlich doch noch einmal um: „Originelle Idee, das mit den gestreiften Wänden“, meinte er anerkennend. „Stimmt“, fand unsere Nachbarin. „Aber meint ihr nicht, daß Tapetenkleister auf Dauer haltbarer wäre?“
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