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Lebed verliert russisches Roulett

■ Boris Jelzin entscheidet offenen Machtkampf im Kreml und entläßt seinen Sicherheitsberater. Begründung: Lebed sei unfähig zur Kooperation. Der Geschaßte fürchtet Auswirkungen auf den Friedensprozeß in Tschetschenien

Moskau/Berlin (AP/dpa/taz) – Das präsidiale Machtwort aus dem Sanatorium kam gestern nachmittag um 16 Uhr. Der russische Präsident Boris Jelzin sagte in einer kurzen Fernsehansprache, er habe seinen Sicherheitsberater Alexander Lebed entlassen. Zuvor hatte dieser seinen Rücktritt angekündigt, sollte Jelzin Lebeds Widersacher, Innenminister Anatoli Kulikow, nicht feuern. Der verbale Krieg zwischen den beiden Generälen war am Mittwoch eskaliert, als Kulikow Lebed vorwarf, er wolle mit einem Putsch die Macht im Lande an sich reißen.

„Ich kann diese Situation nicht tolerieren und bin gezwungen, General Lebed von seinem Posten zu entbinden“, begründete Jelzin seinen Schritt. Er beschuldigte Lebed, nicht mit den anderen staatlichen Organen zusammengearbeitet zu haben. Jelzin sagte, Lebed habe „eine Reihe von Fehlern gemacht, die für Rußland unzulässig sind und die Rußland schaden“. Das Fernsehen zeigte, wie Jelzin das Entlassungsdekret unterzeichnete.

Mit diesem Schritt stellte der herzkranke Präsident zugleich klar, daß er nach wie vor die Lage im Griff hat. Die Börse gab Jelzin recht: Unmittelbar nach Bekanntwerden der Entlassung Lebeds kletterte der Dollar auf einen Tageshöchstkurs von 1,5430 Mark.

Lebed war 122 Tage im Amt. Jelzin hatte ihn zwischen der ersten und der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am 18. Juni zum Sekretär des einflußreichen Sicherheitsrates ernannt. Im ersten Wahlgang hatte Lebed mit 14 Prozent der Stimmen den dritten Platz belegt und anschließend zur Wahl Jelzins aufgerufen.

Lebeds größter Erfolg im Amt war die Beilegung des Kriegs in Tschetschenien. Anführer der dortigen Rebellen hatten gestern davor gewarnt, daß der Krieg in der Kaukasusrepublik wieder aufflammen werde, sollte Jelzin Lebed entlassen. Auch Lebed selbst sagte, seine Entlassung werde den Friedensprozeß in Tschetschenien gefährden. Gegen die Entscheidung Jelzins wolle er aber nicht vorgehen.

Wie groß die Spannungen in Moskau gestern waren, zeigte eine Auseinandersetzung zwischen Mitarbeitern des Innenministeriums und Sicherheitskräften Lebeds. Diese hielten nach Angaben von Lebeds Pressestelle zwei Beamte des Innenministeriums fest und entwaffneten sie, weil sie Lebed beschattet hätten. Kurz darauf wurden die Beamten wieder freigelassen. Das Innenministerium stritt ab, Lebed beschattet zu haben.

Der russische Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin mahnte gestern alle Beteiligten und auch die Streitkräfte zur Ruhe. In Moskau wurden die Polizeipatrouillen verstärkt. Zusätzlich wurden 2.000 Elitesoldaten des Innenministeriums in die Stadt verlegt. Tagesthema Seite 3

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