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Erinnerungen zum Verrücktwerden

■ Seit dem 28. September befinden sich in der Türkei inhaftierte KurdInnen wieder im unbefristeten Hungerstreik. Mit Elif Ö., deren Mann in Cankeri einsitzt, sprach Elke Spanner

„Angehörige, immer Angehörige“, wehrt Elif Ö. ungehalten ab: „Wenn jemand im Hungerstreik stirbt, ist das schlimm, egal, wer es ist. Warum sollte ich nur um meine Familie trauern?“ Und macht damit klar, daß sie über ihren Ehemann nicht weiter sprechen will. Der sitzt im türkischen Cankeri im Gefängnis, seit sechs Jahren bereits, während Elif Ö. mit ihren beiden Kindern in Hamburg lebt. Die seien sehr glücklich hier, erzählt die 36jährige. Sie selber nicht. „Wenn sie mich lassen würden, ich würde gleich heute in die Türkei zurückgehen.“

Obwohl die Kurdin dort ständigen Schikanen türkischer Polizisten ausgesetzt war. Elif Ö. hat zuletzt in Ankara gelebt und war dort im Vorstand eines kurdischen Frauenvereins aktiv. Davon, Märtyrer zu schaffen, hält sie gar nichts. „Wenn du sowas tust, dann mußt du auch damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen“, sagt sie verächtlich. „Wenn ich weiß, warum ich politisch arbeite, ist es nicht so schwer, die Folgen zu tragen.“ Die Folgen für sie: Immer wieder wurde ihre Wohnung durchsucht. Vier- bis fünfmal kam sie für mehrere Tage in Untersuchungshaft. „Warum? Was weiß ich, das sagen sie dir doch nicht.“ Trotzdem wollte sie bleiben. Doch sie hat zwei Kinder, und „die brauchen eine Zukunft“, erklärt die Kurdin, warum sie in Hamburg lebt.

Im Sommer waren die beiden zu Besuch in der Türkei. Elif Ö. hatte sie dorthin geschickt, obwohl die Kinder selbst es zunächst nicht wollten. Ihr Mann war im Hungerstreik, seit Wochen bereits. Der zwölfjährige Metin und die siebenjährige Berfin sollten ihn noch einmal besuchen, bevor es vielleicht nicht mehr ging. Das Todesfasten war bereits angekündigt, niemand wußte, wie weit die türkische Regierung gehen würde. – 13 Menschen starben bis zum Abbruch des Hungerstreiks.

Als Elif Ö. ihre Kinder nach Cankeri schickte, wußte sie durch Briefe ihres Schwiegervaters, daß ihr Mann nicht mehr sprechen konnte und durch das Hungern erblindet war. Metin und Berfin wollten nach ihrer Rückkehr nicht über ihre Erlebnisse sprechen. Nur, daß sie nie wieder in die Türkei reisen wollten, kündigten sie an. Erst durch beharrliches Nachfragen erfuhr Elif Ö., daß die beiden ihren Vater nicht wiedererkannt hatten.

In türkischen Gefängnissen wird nun wieder gehungert. Die von der Regierung versprochenen verbesserten Haftbedingungen, die den dreimonatigen Hungerstreik von rund 2500 KurdInnen und TürkInnen im Sommer beendeten, wurden bislang kaum eingelöst. Am 24. September starben im Gefängnis von Diyarbakir zehn mutmaßliche PKK-Mitglieder. Aus Protest zündeten sich im Istanbuler Bayrampasa-Gefängnis drei KurdInnen an. Zeitgleich traten kurdische Gefangene wieder in einen unbefristeten Hungerstreik, mit den alten, immer noch unerfüllten Forderungen: Schluß mit Mißhandlungen, Morden und Folter durch die türkische Polizei. Ärztliche Versorgung der Gefangenen, keine außergerichltichen Exekutionen und Repressionen gegen Angehörige mehr. Diesmal sind es nur einzelne Gefängnisse, in denen die Insassen die Nahrung verweigern. Gefangene in anderen Knästen unterstützen sie immer wieder für einzelne Tage.

Auch der Mann von Elif Ö. war wieder dabei. Zunächst. Dann machte sein Kreislauf nicht mehr mit. Die notwendige ärztliche Behandlung wurde ihm von der Gefängnisleitung verwehrt. Von vornherein war sein Fasten nur als befristete Unterstützung angelegt, so daß er abbrach, ehe die Folgen für ihn irreparabel werden konnten. „Natürlich möchte ich nicht, daß es Hungerstreiks geben muß“, sagt Elif Ö. „Aber die Gefangenen haben nichts außer ihrem nackten Leben, um sich zu wehren“.

Bitterkeit schwingt in der Stimme der Frau mit, als sie von der Unterstützung des Hungerstreiks erzählt, die es in Hamburg gibt. Oder eben nicht gibt. Nach wie vor stehen jeden Sonnabend die „Samstagsmütter“ in Altona am Bahnhof, türkische und kurdische Frauen, die PassantInnen darüber informieren, was in türkischen Gefängnissen vor sich geht. Doch das ist es auch schon fast. Eine Verabredung mit der Altonaer PDS, bei dem auch Elif Ö. anregen wollte, daß deutsche Gruppen und Parteien die Hungerstreikenden unterstützen, hielt die PDS nicht ein. Einen neuen Termin gab es nicht.

Metin und Berfin sind zu jung, um politisch aktiv zu sein. Die Verhaftung ihrer Mutter beispielsweise oder auch das Aussehen des Vaters am 65. Tag seines Hungerstreiks haben sie aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Scheinbar. „Meinem Sohn ist es, glaube ich, peinlich, darüber zu reden“ spekuliert Elif Ö. „Er fängt dann an zu weinen.“

Sich von seiner eigenen Geschichte abzuspalten, so zu tun, als wären Erlebnisse nicht die eigenen, ist ein oft zu beobachtender Umgang vieler Menschen mit ihren Gewalterfahrungen – auch bei Traumatisierungen durch Haft, Mißhandlung, Flucht. Das weiß der Jugendpsychiater Hubertus Adam, der im UKE eine Ambulanz für Flüchtlingskinder und ihre Familien eingerichtet hat. Auch der Zwiespalt von Elif Ö., einerseits nur in Hamburg eine Perspektive für sich und ihre Familie zu sehen, auf der anderen Seite trotzdem lieber in der Türkei leben zu wollen, ist ihm aus seiner Praxis nur allzu bekannt. „Niemand würde es aushalten, sich nur an das Schlimme zu erinnern“, erklärt er, warum oftmals „die Verhältnisse im Herkunftsland idealisiert werden“. Hinzu komme bei vielen Flüchtlingen die Last, sich selbst in Sicherheit zu wiegen, während Angehörige oder FreundInnen Repressionen ausgesetzt sind. Er schildert das Schicksal eines Jungen, den er vor einem Jahr in Behandlung hatte. Der war nach der körperlichen Mißhandlung auf einem türkischen Polizeirevier ohne seine Eltern nach Hamburg geflohen. Hier kam er in die Psychiatrie, weil er sich selbst mit einem Messer schwer verletzt hatte.

Auch für Metin und Berfin Ö. ist selbst das verhältnismäßig angstfreie Leben in Hamburg von dem geprägt, was sie in der Türkei erlebt haben. Noch immer haben die beiden Kinder Angst, alleine zu Hause zu sein. Zu oft tauchte in der Türkei plötzlich die Polizei auf und durchwühlte ihre Wohnung.

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