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Gebrochene Breitwand

■ Brit-Pop-Kombinationen im Zwischenzustand: Die Boo Radleys und Suede

Nein, Rock'n'Roll ist etwas anderes. Pop auch. Die Boo Radleys undSuede, zur Zeit gemeinsam auf Deutschland-Tour, haben wenig gemein. Eines eint sie jedoch: Die beiden englischen Formationen irren irgendwo zwischen dem Rock'n'Roll-Entwurf „Jungen-Abenteuer“ und der Pop-Idee „Reißbrett“ umher. Ein seltsamer Zustand. Die Boo Radleys haben als eingeschworener Haufen symbolträchtig ihre Karriere als WG in Liverpool begonnen, setzen jedoch nur noch die Visionen des Songwriters Martin Carr um. Und Suede präsentieren sich zwar gerne als Außenseiter, aber bei ihnen schmeißt schon mal die eine Hälfte der Band die andere raus.

Bei den Boo Radleys zeitigt dieser Zwischenzustand Pop-Alben von zwielichtiger Schönheit. Im Hinterkopf dürfte Martin Carr die Idee rumspuken, so etwas wie ein „Sgt. Pepper der Neunziger“ zu schaffen. Das er dabei in regelmäßigen Abständen scheitert, ist überhaupt nicht tragisch. Eher komisch, denn er scheitert furios. Mit C'mon Kids hat seine Band ihr fünftes Album vorgelegt, ein Breitwandwerk, das glitzert und dessen Melodien tausendfach gebrochen sind.

Der glatzköpfige Sänger Sice, der sich unter dem Namen Eggman unlängst noch einmal mit klassischen Pop-Miniaturen eine kleine Verschnaufpause gönnte, wird von Songwriter Carr durch ein Labyrinth von Harmonien gejagt. Hier läuft kein Stück seinem vorhersehbaren Finale entgegen, und die Instrumentierungen sind alles andere als geradlinig. Ein schillerndes Sammelsurium aus Sounds und Styles ist das. Beach Boys, Who, My Bloody Valentine, Tricky. Kommt alles vor, aber nicht in schnöder Plagiatform, sondern in aberwitzigen Kombinationen. Gut und anstrengend sind die Boo Radleys. Live allerdings klappt dieses Pop-Monstrum in zwei von drei Fällen zusammen.

Das passiert bei Suede natürlich nicht. Bei denen läuft alles wie geschmiert, also im Rhythmus von Brett Andersons laszivem Lendenwurf. Die Formation um den selbsternannten Underdog, der nun wirklich in jedem Interview von den Entbehrungen der frühen Tage faselt, gibt es schon lange. Während der Aufregung um Oasis haben sie sich eine Auszeit genommen, und nach einigen personellen Veränderungen basteln die Glamrockschönlinge auf dem neuen Album Coming Up ein weiteres Mal an ihrer Second-Hand-Identität. Der Rolling Stone nennt das Ding halb angeekelt, halb fasziniert eine „synthetische Müllhalde der Melodramatik“.

Tatsächlich sind Suede die Könige unter den unzähligen David-Bowie-Darstellern Englands, weil sie es schaffen, die Ikonographie des Zweideutigen geschickt in ihre Selbstdarstellung als Außenseiter zu verflechten. Gesungen hört sich das dann so an: „But we're trash/ we're the litter on the breeze/we're the lovers on the street.“ Meint: „Wälze dich im Dreck auf der Straße, und wälze dich da mit wem du willst – aber paß verdammt nochmal auf deine Frisur auf!“ Christian Buß Do, 24. Oktober, 21 Uhr, Freiheit

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