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Unangestrengter Nachlaß

■ Premiere von Büchners Woyzeck in Kroetz'scher Fassung im Hamburger Schauspielhaus – Franz Xaver Kroetz inszeniert seine Neufassung selbst

Ein Mann dreht durch. Er tötet die Frau, die er innig liebt. Aus Eifersucht, Irrsinn, Sprachlosigkeit angesichts der ihn umgebenden Hackordnung. Während sie sich an den Kinderwagen klammert, sticht er zu. Immer wieder, bis die Untreue ins Wasser flüchtet und versinkt.

Der Fall Woyzeck, eine Schlagzeilen-Geschichte, die Anfang des 19. Jahrhunderts die Gemüter erregte. Die Gelehrten debattierten über genetische Determiniertheit oder flüchteten sich in okkulte Deutungen seelischer Perforationen. Der 25jährige Büchner machte sich daran, aus der Mordgeschichte ein Stück zu kolportieren. Doch bevor er seine Konvolute zu einer bündigen Bühnenfassung fügen konnte (die erst 1913 uraufgeführt wurde), starb er.

Franz Xaver Kroetz, einst meistgespielter deutschsprachiger Bühnenautor, empfiehlt sich nun als Nachlaßverwalter seines „Gottes“. Sorgfältig hat er alle Handschriften studiert, sich meist für die älteste Version entschieden, weil sie „derber, frecher“ als ihre Bearbeitungen sind. Mit Herbert Fritsch als Woyzeck und Catrin Striebeck als Marie wird er Woyzeck, die Kroetz'sche Fassung, eigenregiert im Schauspielhaus zur Premiere bringen. Die im Rotbuch-Verlag jüngst erschienene Kroetz'sche Fassung strotzt vor Biologismen. Da bevölkern allerlei domestiziertes Getier und vom Leben zu viehischen Kreaturen zusammengestauchte Elendsgestalten die Szene. Doch Befürchtungen, Kroetz könne das „immer noch modernste“ deutsche Stück zu sozialkritischem Volkstheater verweißwursten, die bereits bei Büchner installierten Verknüpfungen aus gesellschaftlichem Fatalismus und morbiden Deformationen allzu angestrengt durchexerzieren, erledigten sich vorerst bei dem Pressegespräch am vergangenen Dienstag. Und die von Kroetz hinzugefügte Stallszene, in der Handwerker sich am standesgemäßen Geißviech wund vögeln, hält er selbst für „unglücklich“. Sie wurde für die Inszenierung gestrichen.

Wenn man sich an all die Kroetz-Gestalten aus 50 Bühnenstücken erinnert, wird klar, daß sich der Autor mit Woyzeck am eigenen naturalistischen Erbe abarbeitet. All die Selbstmörder, Niederstrecker, Mißhandelten, deren Dahinvegetieren in seelischer Ohnmacht implodiert oder sich ein Ventil in Brutalität schafft, tragen einen Woyzeck-Amok in sich. Und wenn Willi in Heimarbeit, nach dem er die Seitensprung-Brut seiner Frau ertränkt und den Säuglingstod mit dem Ausdruck eines unendlich hilflosen Sortierwillens „Jetzt hat alles wieder seine Ordnung“ kommentiert, läßt sich hier leicht eine Brücke zu der Bilanz der Ordnungshüter in Büchners Woyzeck schlagen: „Ein schöner Mord!“ Birgit Glombitza

So, 27. 10. , 19 Uhr, Schauspielhaus

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