piwik no script img

Falscher Zahn gezogen

■ betr.: „Da würde ich lieber in Alaska Ananas züchten“ (Inter view mit Joschka Fischer), taz vom 11.10. 96, „Symbole des Wandels“ u.a. taz vom 14.10. 96, „Über Kom munismus reden“ von Micha Brumlik, taz vom 15.10. 96, „Fra gen eines lesenden Moderators“ von Friedrich Küppersbusch, taz vom 16.10. 96

Die Joschka-Doppelseite beweist es: Josef Fischer ist ein ganz Großer. Sein Problem ist, daß er noch zweigeteilt ist. Er steht rechts und links zugleich. Und die sperrigen Aussagen dazwischen, daß er ein ganzer Kerl wird. Schade eigentlich. Eckard Dürr, Neuendettelsau

Herr Fischer behauptet, die Vorstellung, „nehmt's den Kapitalisten und verteilt's gerecht“, würde heute weniger denn je funktionieren. Nun ja. Vielleicht sollte er erst einmal darüber nachdenken, wie man denn die Unternehmer zur Kasse bitten kann, ehe er – in geistiger Nähe zu Kohl und Westerwelle – auf die Idee kommt, breite Bevölkerungsschichten zur Umverteilung von unten nach oben heranzuziehen. Und da gibt's eine Reihe von Möglichkeiten:

Warum werden Freiberufler nicht zur Gewerbesteuer herangezogen? Warum wird ein Steuerberater mit fünf Mitarbeitern besser gestellt als ein – gewerbesteuerpflichtiger – Handwerker mit fünf Gesellen? Warum ist die Betriebsaufgabe (§ 16 EStG) steuerlich begünstigt? Warum dürfen gewerbliche Verluste (§ 10 a GewStG) in zukünftige Jahre vorgetragen werden mit der Folge, daß zukünftige Gewinne dann nicht besteuert werden? Der Verlustabzug nach §10dEStG ist doch für die Reichen Steuergeschenk genug, oder?

Warum bleiben Gewinnausschüttungen von Auslandstochtergesellschaften hier im Inland steuerfrei, wenn die deutsche Kapitalgesellschaft mit mindestens zehn Prozent an der Auslandsgesellschaft beteiligt ist? Diese Regelung im deutschen Steuerrecht widerspricht sogar dem internationalen Recht („Doppelbesteuerungsabkommen“), das eine Mindestbeteiligung von 25 Prozent vorschreibt! Warum dürfen Unternehmer Geschenke an Geschäftsfreunde (bis zu 75 Mark pro Jahr pro Geschäftsfreund) und 80 Prozent der Bewirtschaftungskosten (sowie die volle Vorsteuer) steuermindernd berücksichtigen? Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen ähnliche Kosten haben, dürfen diese nicht abziehen! Warum ist der gewinnträchtige Verkauf von zu Vermietungszwecken genutzten Grundstücken gesetzlich nicht geregelt? Die Finanzverwaltung nimmt hierbei erst ab dem 4. Verkaufsvorgang eine Einkommen- und Gewerbesteuerpflicht an! (Der §23EStG, der Spekulationsgewinne abschöpfen soll, blieb doch in der Vergangenheit völlig wirkungslos und führte vor allem nicht zu einer Gewerbesteuer). [...] Detlef Pieske-Kontny, Berlin

Fragen, die Antworten organisieren, praktizieren müssen. Wer verdummt: die Wählerinnen oder die Parteien. Ökonomistische Streiks versacken, Politische besetzen Betriebe, bauen sie ökologisch um. Ist Greenpeace sozialistisch? Warum wird die Kriegsproduktion nicht abgeschafft. Warum wird aus der Bundeswehr nicht so etwas wie Robin Wood, Greenpeace ... Banken und Konzerne verstaatlichen, Steuerflucht ist kein Argument, ebensowenig, ob in der sogenannten Dritten Welt billiger oder in der sogenannten Ersten Welt teurer ausgebeutet wird. Die Asozialisierung der BRD hat einen Punkt erreicht, dessen friedliche Lösung unmöglich erscheinen läßt, das heißt die herrschende Akkumulation zu einer ökonomistischen Militärdiktatur offenbart.

Einheitsfront, auch parlamentarisch, aller Sozialistinnen und Kommunistinnen. Rotfront Fedja Holz, Peter Staimmer,

Berlin

Bravo & vollste Zustimmung an Micha Brumlik für die Rede. Endlich spricht mal wieder jemand aus, was der einzig vernünftige Ansatz zur Lösung der sozialen Probleme ist. Vor Freude allein darüber möchte man glatt die Realisierungschancen verdrängen.

Zum Beispiel gibt es erstens auf absehbare Zeit wohl dafür keine gesellschaftlichen Mehrheiten, und zweitens dürfte solch eine gesellschaftliche Revolution lokal, nur in der BRD/EU, nicht praktikabel sein.

Aber nur so läßt es sich doch über Strategien nachdenken, nicht unter Rücksichtnahme auf die Sachzwänge der sich totlaufenden (und Unsummen verschlingenden) parlamentarischen Daseinsform, die schon keine Bewegungsform mehr ist.

Herr Fischer soll ruhig nach Alaska, meinetwegen auch zum Bananen züchten. Vielleicht findet er dabei noch die Muße, vom rheinischen Kapitalismus zu träumen – und es lüftet sich der Nebel der Machtkorruption ... Jürgen Lübeck

Brumlik glaubt dem Triumpf des Neoliberalismus mit dem alten Klassenkampfgesülze begegnen zu können, aber die Gläubigen sind in Rente, die Nachgeborenen halten sich die Ohren zu! Der zentralverwaltete Staat ist doch nur dann relativ frei, wenn er über genügend Rohstoffe verfügt, um Exportverluste auszugleichen, selbst einem so reichen Land wie Rußland gelang dies nicht. Die Wiederbelebung des Kommunismus kann höchstens den Zweck haben, die eine oder andere Volkswirtschaft auszuschalten – Kommunisten als Handlanger internationaler Konzerne, die Standorte erst planieren lassen, um sie nach Ausschaltung des örtlichen Bürgertums samt ansässigen Sklaven billig zu schlucken.

Was in Deutschland ausgerechnet die Grünen dazu treiben sollte, solch einen sauberen Job, der weder der Partei noch ihren Wählern nützt, zu übernehmen, mag Brumliks Geheimnis bleiben.

Was im übrigen die Eindimensionalität des Kapitalismus angeht, so treffen wir analoges im kommunistischen System, wo sich das Konkurrenzprinzip zwar nicht gesamtgesellschaftlich, dafür in der Parteihierarchie findet: Die Gesellschaft bezahlt für ihre Befreiung mit einem Gefangenenstatus, der wohl kaum als Alternative für Neoliberalismus gelten kann!

Brumlik sollte seine 68er Blütenträume (à la Marcuse) im Altenheim pflegen, neue Ideen, und die braucht es hier, sind von seiner Art nicht mehr zu erwarten. Frank Oppermann, Bamberg

Es läßt sich darüber streiten, ob der Begriff „rheinischer Kapitalismus“ geeignet ist, Perspektiven einer bündnisgrünen Wirtschafts- und Sozialpolitik zu umreißen. Bei mir weckt er Assoziationen wie Krupp, Thyssen, Adenauer. Das ist nicht gerade identitätsstiftend. Er betont einseitig die bewahrenswerten Elemente (Stichwort „sozialstaatliche Errungenschaften“) von etwas, was insgesamt gesehen so bewahrenswert nicht ist, weil's neben Nützlichem auch allzuviel Unheil (Stichworte Ökologie, Dritte Welt, Rüstungsgüter) produziert. Wozu der Begriff allerdings taugt, ist die erforderliche Debatte über linke Wirtschafts-, Sozial und Umweltpolitik in Zeiten verschärfter Globalisierungstendenzen zu provozieren. [...]

Was – auch unabhängig von einer opportunistisch verengt überbetonten Machtfrage – gestellt werden muß, ist die Frage, wie den globalen Strategien des Kapitals auf eine Weise zu begegnen ist, die einerseits die drohende, sich ansatzweise schon vollziehende Ausgliederung nicht verwertbarer Menschen verhindert und die andererseits Tendenzen zur Auslagerung von Produktion und Arbeit dazu nutzt, die Weichen in Richtung auf weniger Arbeit, geringerer materieller Verbrauch und mehr „Lebenswelt“ für alle zu stellen.

Wir müssen uns sehr wohl „den Kopf des Kapitals zerbrechen“, wenn wir eine Politik wollen, die dieses in eine ökologisch und sozial verträglichere Richtung lenkt, ohne daß eine Krise produziert beziehungsweise drastisch verschärft wird! Soll Ausgrenzung verhindert werden, ist es legitim und notwendig zu überlegen, auf welchem Niveau alle integriert werden können.

Diese Überlegungen werden in dem Interview mit J. Fischer in einer Weise angesprochen, die andeutet, wie alte Forderungen einer sozial-ökologischen Erneuerung innovativ mit den Globalisierungstendenzen unter dem Motto „weniger Lebensarbeitszeit und weniger Verbrauch materieller Ressourcen für alle beziehungsweise weg vom Vollerwerbsmodell um Vollbeschäftigung wieder herzustellen, verknüpft werden könnten. Das geht weit über die Bewahrung eines „rheinischen Kapitalismus“, aber auch über opportunistische Machteroberungstaktiken hinaus. Ich sehe es als einen mobilisierenden Anstoß für eine zwangsläufig kontroverse Diskussion um die Konkretisierung dieser Perspektiven. Theo Rauch, Berlin

Der Beitrag von Friedrich Küppersbusch ist ein gutes Beispiel für das Imagedilemma der Grünen. Machen sie sich aktuelle Themen zu eigen, erfolgt umgehend der Vorwurf, sie verabschiedeten sich von ihren Grundsätzen. Tun sie dies nicht, sind sie die Ökospinner, die nicht wissen, wo es in dieser Gesellschaft langgeht. So kann denn auch die Tatsache, daß die Grünen einen Strategiekongreß zur Wirtschafts- und Sozialpolitik veranstalten, nichts Gutes bedeuten. Friedrich Küppersbusch scheint entgangen zu sein, daß Joschka Fischer zwar den rheinischen Kapitalismus propagiert, ihm die grüne Mehrheit jedoch keineswegs jubelnd nachläuft. Im Gegensatz zu seinem Auftreten in den Medien (siehe taz) spielte Fischer auf dem Perspektivenkongreß keine überragende Rolle. Die Mehrzahl der RednerInnen erteilte denn auch dem rheinischen Kapitalismus eine deutliche Absage.

Es ist bedauerlich, daß die taz dem Selbstdarsteller Fischer ein Forum bietet, über politische Ansätze links von Fischer, wie zum Beispiel das Papier von Ludger Volmer und Frieder Otto Wolf zur Besteuerung des globalen Kapitaltransfers jedoch mit keiner Silbe berichtet. Beate Bänsch-Baltruschat, Bonn

Fischers verzweifeltes Ringen um einen pragmatischen Umgang mit dem Kapitalismus, dem man so gerne aus vollem Herzen zustimmen würde (antikapitalistische Besinnungsaufsätze können wir ja nun wirklich nicht mehr hören wollen), schmerzt um so mehr angesichts seiner analytischen Konfusionen, die ihn veranlassen, der Linken den falschen Zahn ziehen zu wollen. Daher zur Erinnerung:

1. Die ganze Geschichte des Spätkapitalismus, der Arbeiterkämpfe, der Bismarckschen Sozialgesetze und der Erfolgsweg des „rheinischen Kapitalismus“ war nie etwas anderes als das – wie auch immer unzureichende, unbeholfene und durch den „Fahrstuhleffekt“ (Beck) überlagerte – „den Reichen nehmen, um es den Armen zu geben“.

2. Die hohe Staatsquote hängt unter anderem damit zusammen, daß die Industrie – immer wenn es um Investitionen oder drohende Massenentlassungen geht – vom Staat mit zig Milliarden subventioniert wird, wogegen sich beispielsweise die 15 Milliarden Sozialhilfe (HLU) lächerlich ausnehmen.

3. Die „Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums“ findet gerade in Innovationsphasen wie der derzeitigen (Computer) wesentlich über Rationalisierungen statt und wird von zuviel ineffizient eingesetzter Arbeitskraft gebremst. Japan hat einen entscheidenden Standortvorteil, weil es aufgrund der sozial anders eingebundenen Arbeitskräfte nie Maschinenstürmerei gekannt hat (und zudem eine wesentlich größere Gleichverteiliung der Ressourcen realisiert). Daher ist die beste Standortpolitik eine, die den Unternehmen zügelloses hire and fire ermöglicht.

4. Pragmatische Lösung für alle diese Punkte ist kaum die Verängerung der Lebensarbeitszeit, sondern die Einführung des seit 15 Jahren in den Sozialwissenschaften diskutierten Lebenshaltungskosten deckenden „Grundeinkommens“ für jeden, an Stelle der Industriesubventionen (lesen Fischer und sein Stab eigentlich nur Schwafler wie Altvater?): Entdramatisierung der Arbeitslosigkeit, Entlastung der Industrie von überflüssigen Arbeitskräften, Entbürokratisierung der Sozialverwaltung und wirksame Unterwanderung von Lohndumping in einem.

5. Den größten theoretischen Knoten kann man Fischer – der pragmatisch nur die nächsten 30/40 Jahre andenkt – nicht anlaßten, eher schon den Gewerkschaften, die ihn historisch verfrüht zu den Akten legten: Wer sich die „Standortdebatte“ – wie implizit auch immer – aneignet, übernimmt zwangsläufig die nationalstaatliche (oder europäische) Perspektive. Immer noch gilt aber: Nicht unsere Löhne sind zu hoch, sondern die in Thailand zu niedrig. Bleibt also genug Stoff für Besinnungsaufsätze. Olaf Rahmstorf, Konstanz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen