: Als Politiker dem Volk aufs Maul schauen
■ betr.: „Todesstrafe ist angemes sen“ (Interview mit Manfred Wirth, CDU Brandenburg), taz vom 19./20.10. 96
Sehr geehrter Herr Wirth, ich will ja nun angesichts Ihres Interviews mit der taz nicht gerade sagen: „Das mußte ja so kommen“, aber gehört habe ich – sicher von WählerInnen Ihrer Partei, ich persönlich bevorzuge die roten Socken von der PDS, weil die herzerwärmender sind – ja nun in den letzten Wochen oft genug auf den Straßen den Ruf nach der Todesstrafe für sogenannte „Kinderschänder“ – ich nenne es Vergewaltiger, aber zu den kleinen, feinen Unterschieden will ich später kommen. Jedenfalls ist es richtig, daß Sie als Politiker dem Volk aufs Maul schauen und sich danach richten, schließlich wollen Sie wieder gewählt werden. Ich kann auch Ihre Angst als Vater und Großvater um Ihre Nachkommenschaft verstehen, würde jedoch als Frau und Mutter gerne wissen, wieviel Erziehungsarbeit Sie Ihren Kindern und EnkelInnen täglich widmen und ob Ihnen denn eigentlich nicht klar ist, daß die meisten Vergewaltigungen im Familien- und Bekanntenkreis passieren, so daß Sie im Falle, daß es Ihnen gelingt, die Todesstrafe einzuführen, sie doch bitte für jede Vergewaltigung verbindlich und ohne Einspruchsmöglichkeit ausführen lassen sollten. Sie würden sich wundern, wie wenige Mitmänner Sie dann noch haben.
Es wundert mich, warum Sie auch die Todesstrafe für Polizistenmord – ich hoffe, Sie meinen auch Mord an Polizistinnen und haben sich lediglich aus Denkfaulheit nicht political correct ausgedrückt – fordern. Für mich sind PolizistInnen eine Berufsgruppe wie beispielsweise auch IngenieurInnen oder VerkäuferInnen.
Liegt es etwa daran, daß PolzistInnen HüterInnen der öffentlichen Ordnung sind? Und wie sieht es dann mit RichterInnen und anderen JustizbeamtInnen aus, die ermordet werden könnten? Wollen Sie den Beamtenstatus der PolzistInnen besonders betonen? Da haben Sie aber übersehen, daß auch IngenieurInnen und Postbedienstete BeamtInnen sein können. [...]
Ehrlich gesagt, ich finde, Sie sind ein wenig undifferenziert, Sie geben beispielsweise darüber keine Auskunft, ob die Todesstrafe gegen PolzistInnenmörderInnen nur bei Mord während der Dienstzeit oder auch bei privatem Mord durch den/die Lebensgefährtin oder den/die ErbInnen verhängt werden soll. [...]
Falls Sie es übrigens wirklich schaffen sollten, daß Grundgesetz zu kippen und die Todesstrafe wieder einzuführen, bewerbe ich mich jetzt schon als Henkerin. Wenn Sie schon jeglicher Menschlichkeit bar sind, so sollten Sie wenigstens im Henkersberuf auf die Frauenquote achten. Ich schlage Hängen nach dem Long-Drop-Verfahren, wie es in England jahrhundertelang praktiziert wurde, vor. Aber erst einmal schlage ich Ihnen vor, sich in den Ruhestand zu begeben und dort auch zu bleiben, es ist ja zum Kotzen, wenn sich ein sogenannter christlicher Politiker hinstellt und das staatliche Töten von Menschen verlangt. Und nehmen Sie Ihre brandenburgische Kamarilla von Todesstrafenbefürwortern bloß gleich mit ins Altenheim! Kerstin Witt, Berlin
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