: Gut gesampelte Melancholie
■ „Everything But The Girl“ spielten am Samstag abend im „Modernes“
Sie waren so cool, daß es schon fast wehtat. Dermaßen abgeklärt, kühl und sparsam wie Tracey Thorn und Ben Watt präsentieren sich nur wenige Popkünstler live. Watt hohlwangig und melancholisch distanziert hinter seinen Keyboards sowie Tracey Thorn am Mikrophon in einem häßlichen Strickleid, das sie noch magerer und blasser aussehen läßt. Für eine Rolle in „Trainspotting“ hätten die beiden sich nicht einmal umziehen brauchen. Minimalistisch auch die Begleitband: ein Bassist und Martin Mitchum am Schlagzeug. Oder besser gesagt als Drum-Programmierer, denn die meisten Grooves wurden von ihm als Samples oder elektronische Rhythmuspatterns eingespielt.
Mit diesem Konzept wurde auch halbwegs elegant das Dilemma gelöst, daß „Everything But The Girl“ sich seit einiger Zeit zu einer Studioband entwickelt hat, deren typische „Drum'n'Bass“-Effekte erst beim Mischen im Studion entstehen. Jetzt wurden sie immerhin von Mitchum live eingeschaltet. Zum Ausgleich dafür mußte Watt, der ja eher der Komponist, Arrangeur und Produzent der Band ist, sich öfter demonstrativ mit seinen Soundspielereien am Keyboard in den Mittelpunkt rücken, um so seine Anwesenheit auf der Bühne zu begründen.
Zu dem letzten Stilsprung der Band kam es 1994, als Tracey bei dem „Massive Attack“ Album „Protection“ mitsang und sich dabei von deren gedubmixten Sound-experimenten inspirieren ließ. Als die Band nun neben den treibenden, eher rhythmusorientierten Stücken ihrer letzten CD mit „Better Things“ auch einen Song von Massive Attack spielten, merkte man kaum einen Unterschied, und es wurde deutlich, wie groß deren Einfluß auf Tracey und Watt tatsächlich ist.
Bei den älteren Stücken merkte man, wie extrem sich die Band in den letzten zwölf Jahren entwickelt hat. Inszwischen macht der Bandname ja viel Sinn, denn während sich in ihrer Musik mit den Moden alles sehr geändert hat, blieb doch das Mädchen mit seiner immer sofort erkennbaren Stimme. Im Konzert versuchten sie nun jedes Stadium mit zumindest einem Song vorzustellen. Aber dabei waren die Stimmungsumschwünge manchmal sehr abrupt. Der Wechsel von Drum'n Bass zum Bossa Nova ihrer brasilianischen Periode gelang noch sehr schwungvoll, aber der Folksong mit Klampfenbegleitung über das Weihnachtsessen mit allen Verwandten war dann doch eher kitschig als cool. Und als Watts eine Ballade selber sang und dazu die Keyboards auf „acoustic piano“ eingestellt hatte, klang er dabei verdächtig nach Elton John. Eine überzeugende Liveband mit viel Bühnenpräsenz ist „Everything But The Girl“ nie gewesen. Viele Besucher waren zwar enttäuscht, als das Konzert nach nur 75 Minuten schon zu Ende war, aber wenn die Band länger gespielt hätte, wären ihre Schwächen schnell überdeutlich geworden. So blieb es immerhin echt cool. Willy Taub
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