: Negativer Wortwert = 0,7 Periode Von Susanne Fischer
Schon Wochen vor dem Wahrheit- Klub in Frankfurt wurde in Kassel der Verein für kreative, einleuchtende und lebensnahe Mathematik gegründet, der allerdings nur zwei (oder drei?) Mitglieder umfaßt, und ich bin eines (oder ein halbes? Oder 0,7 Periode?) davon. Gründungsmitglied Friedrich hob zunächst die Spitzenthese in die Satzung, die da lautet: „Parallelen schneiden sich auf gar keinen Fall im Unendlichen.“ Das, so sein Argument, sähe schließlich jedes Kind sofort ein. Ich stimmte zu und schlug vor, daß das Multiplizieren negativer Zahlen verboten wird, weil man sich das nicht mal vorstellen mag und weil es auch gar nicht geht. Allein der Denkversuch haut ja schon nicht hin: Ich habe nicht fünf Birnen und nicht vier Äpfel – wie sollen daraus 20 positive Stücke Obst werden? Negative Zahlen sollten überhaupt nur im alleräußersten Notfall verwendet werden. Als Ergebnis von Schulaufgaben kommen sie nicht in Frage, weil das dicke Minus zu deprimierend wirkt nach der langen Rechenanstrengung. Das erscheint uns nicht kindgerecht.
Friedrich setzte nach, daß Multiplikationen mit Null ebenfalls ausgerottet werden müssen. Niemand, der etwas hätte, würde es mit Null malnehmen, um dann nichts mehr zu haben, ein überflüssiges Angebot der Schulmathematik, das jeglicher Lebenserfahrung Hohn spreche. Hier brandete Applaus der Gründungsversammlung auf. Ferner wurde beschlossen, daß künftig für alle Mathematikaufgaben, besonders aber für die fiesen und gemeinen, mehrere approximative Lösungen zulässig sind. Alle eindeutigen Antworten gelten fürderhin als oberspießig (Kasseler Ungefähredikt).
Diskutiert wurde ausgiebig, ob nicht auch eine approximative Physik ins Leben zu rufen sei. Ihre Vorzüge seien ja wohl sofort ein- oder zweizusehen. Zum Beispiel sei eine partielle Befreiung von der Schwerkraft für ausgewählte Mitbürger einzuführen, keuchten wir einander im allzu gebirgig geratenen Schloßark Kassel-Wilhelmshöhe zu. Wir waren auf Waschbärensuche gegangen – Waschbären, die allerdings außer Kasselern, Kasselanern oder Kasselenensern noch niemand je dort beobachtet hat. „In Hamburg haben wir keine Giraffen kübelweise nicht im Schloßark“, behauptete ich und fügte dem neuen Wissenschaftskanon damit die aufschneiderische Standortbiologie ebenso hinzu wie die architektonische Luftikusgeographie. Friedrich gründete spontan einen Verein gegen die doppelte Verneinung, eine Bewegung, der ich mich anschließen werde, sobald ich meine Umgebung ausreichend mit „kein-nie-nicht“ verpestet habe.
Solange bleibe ich noch in der Initiative negativer Wortwerte. „Die Welt ist gar nicht rund, sondern ein Topf Hirsebrei“ – die ökotrophologische Astronomie war geboren. „Waschbärfreier Hirsebrei!“ insistierte ich. „Das sieht jedes Kind sofort ein“ (Kasseler Kinderbeweis). Am Ende gründeten wir einen Verein dagegen, daß Parallelen sich im unendlichen Hirsebrei auf keinen Fall mit negativen Minuszahlen schneiden, was unseres Wissens allerdings auch bisher noch niemand mit Wahrheitsanspruch formuliert bzw. nicht verneint hatte. „Mir ist schwindelig!“ keuchte ich. „Der Hirsebrei dreht sich oben um seine eigene Achse“, erläuterte Friedrich (Kasseler Schwindelbegründung).
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