■ Von den Folgen einer aufgekündigten Blutsbrüderschaft
: The Battle of Hainberg Forest

Der Hainberg war eine alte Schädelstätte und unterholzüberwucherte Schanzenanlage aus den Tagen des Siebenjährigen Krieges am Rande der Stadt, mit einer Abschüssigkeit, bei der der Normalmeter allenfalls in seiner Kubatur Anwendung finden konnte. Und es würde der Themenstellung dieser Zeilen nicht gänzlich zuwiderlaufen, wenn ich anmerkte, daß wir zur Zeit des Geschehens das Datum noch aus klobigen DDR-Ziffern buchstabierten.

Bandentechnisch war das Areal ständiger Umverteilung unterworfen. Großzügig teilten wir Platzwunden und Blutergüsse aus oder empfingen solche. Zu behaupten hatten wir uns im wesentlichen gegen die Scharen des Vorortes Irchwitz und die schieß- und hasenschartigen Verbände der Hilfsschule „Friedrich Fröbel“, die einen Tageshort unweit unserer Stellungen unterhielt. In derem oftmals hart umkämpften Atrium hing eine Wandzeitung mit der Überschrift „Erich Honecker – einer von uns!“ Mehrmals hatten sie uns schon mit unhandlichem Tuffgestein und jungen Felsen schaurige Ungelegenheiten gemacht.

Damals war ich ein Mordskerl und Bandenanführer. Den Schlagball konnte ich schleudern, daß er fünf Meter und weiter flog, Fünf- Kilo-Hanteln brachte ich kaum vom Fleck, und Streichholzschachteln waren kein ernsthaftes Hindernis für kühnen Hochsprung. Wie das bei Blutsbrüderschaften zu sein beliebt, überwarf ich mich bald mit dem Co-Leader meiner Bande, was zu erbitterter Feindschaft und lautstark vorgetragenen Gebietsforderungen seiner Spaltergang führte.

Um diese Desiderata rechtsverbindlich zu klären, wurde in der Schule öffentliche Fehde angesagt (rote Tinte auf Butterbrotpapier) und auf den 4. November 1972 der alles entscheidende Waffengang anberaumt.

Schwerter aus märkischem Polyvinylchlorid und Holzschilde aus derangierten Reißbrettern fanden dabei weidlich Verwendung. Büroleimverstärkte Pappbrustpanzer dito. Mundgemein wurden wir mit im Umgangston der werktätigen Massen gehaltenen Schimpfkanonaden. Androhung einstweiligen Totschlags war deren bevorzugter Gegenstand. Und Laubleichenberge sorgten für eine farbenprächtige Kulisse.

Da es eine Auseinandersetzung unter Exblutsbrüdern war, einigten wir uns auf die germanische Variante, derzufolge die Anführer die Sache unter sich ausmachen sollten.

Unsere jungen Körper dufteten nach Kraft. T. rannte mit Schwert und Schild gegen mich an, wir hieben mit vor Ingrimm rauchenden Herzen aufeinander ein und wurden schließlich handgemein. Wütend biß er mich in den Oberschenkel, wofür ich ihm den Schildarm mehrmals und kompliziert brach. Ein Umstand, der es seiner linken Armgelenkpfanne ohne weiteres ermöglichte, das Tageslicht zu genießen. Mir zerbrach lediglich meine Wäscheklammererbsenpistole (Bauanleitung bei der Redaktion einzusehen), und der Kampf wurde, da T. immobilisiert, mit ausgekugeltem Steißbein zudem, auf dem Rücken lag, für mich entschieden.

Umgehend alarmierten wir im nächstliegenden Einfamilienhaus eine Dame mit Hut und Kraftfahrzeug, die T. aufs schnellste ins Kinderlazarett fuhr, während wir uns mit roten Ohren und wie mit Wurst im Schuh eine Entschuldigung bei seiner geplagten Mutti zurechtlegten.

Alsbald aber kam es zur Versöhnung mit dem rasch Genesenden, was uns wiederum das Wohlwollen liebreizender Pastorentöchter eintrug, und gemeinsamen Hegemonieansprüchen auf dem Hainberg stand nichts mehr im Wege. Michael Rudolf