: Residenz für moderne Wanderarbeiter
Im Potsdamer Holländerviertel hat ein Berliner Architekt eines der alten Häuser wiederhergestellt: Als Hotel für den Handlungsreisenden zum Wohnen und Arbeiten. Teil IV der Serie „Wie gewohnt?“ ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann
1734. Potsdam – eine zugige Garnisonsstadt. Jahrzehntelang hatte der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. nur in seine Armee investiert. Nun träumt er von einem Lustschloß namens Sanssouci. Doch in der Stadt fehlt es an Künstlern und Handwerkern, die es ihm bauen können. Um sie im Ausland abzuwerben, läßt er nördlich der Altstadt ein neues Quartier anlegen. Er beruft den niederländischen Zimmermann Jan Boumen zum Oberbaudirektor. Unter seiner Leitung entsteht bis 1749 das Holländerviertel.
Ein Vierteljahrtausend später scheint sich die Situation zu wiederholen. Ein Land will aufgebaut werden. Wiederum ist man auf die Hilfe von außerhalb angewiesen. Ein Heer von Handlungsreisenden, Nachfahren jener Handwerker, bevölkert die Mark. Um Geschäfte zu machen, müssen sie beweglich sein. Ein fester Standort ist da unnötiger Ballast. Vertreter, Rechtsanwälte und Architekten operieren aus dem fahrenden Auto heraus.
Zwar lassen sich mit Hilfe moderner Kommunikationstechniken selbst von dort Geschäftsverbindungen halten. Doch jeder, der schon einmal eine Projektbesprechung auf der Motorhaube improvisiert hat, weiß, daß die Reiselimousine das Büro nicht ersetzen kann. Ebensowenig wie ein konventionelles Hotel. Denn schnell sind auch luxuriöse Beherbergungsbetriebe überfordert, wenn der geschäftige Gast von der Rezeption Sekretariatsdienste verlangt.
Auch ein Projektentwickler aus dem Süddeutschen machte kurz nach der Wende solche Erfahrungen. Während eines nächtlichen Bummels durch die Potsdamer Altstadt hatte er eine Idee: Warum nicht eines der Holländerhäuser wiederbeleben? Und zwar nicht allein seine Gestalt wiederherstellen, sondern auch an sein Nutzungskonzept anknüpfen.
Warum nicht eines der Holländerhäuser in ein Hotel verwandeln, das genau abgestimmt ist auf die Bedürfnisse moderner Wanderarbeiter; ein Hotel, das dem anspruchsvollen Handlungsreisenden wahlweise nur die bloße Geschäftsadresse anbiete oder gleich eine vorübergehende Operationsbasis samt zuarbeitendem Sekretariat; ein Hotel, das repräsentativ genug ist, um auch wichtigen Geschäftstreffen den angemessenen Rahmen zu geben, und dessen Räume zugleich so individuell und familiär eingerichtet sind, daß der Gast auch bei kurzen, seltenen Aufenthalten das Gefühl hat, sein ganz persönliches Appartement zu bewohnen, kurz: eine Residenz zum Wohnen und Arbeiten.
Das war 1992. Die Idee des Projektentwicklers sprach sich herum. Der Berliner Architekt Siegfried Polaczy fand das passende Objekt in der Kurfürstenstraße 15. Wie im ganzen Holländerviertel bestimmten hier abblätternde Farben, geborstene Scheiben, eingestürzte Dachstühle, feuchtes Mauerwerk und verfaulte Decken das Bild. Die DDR hatte die alten Häuser zwar entmietet und mit der weißblauen Denkmalsplakette dekoriert, sie dann aber dem Verfall überlassen.
Heute präsentiert sich das Haus als eines der ersten in der Straße im alten Glanz. In enger Kooperation mit der Denkmalbehörde wurde die Fassade wiederhergestellt, inklusive allen Zierats, mit dem sie die Handwerker den Traditionen ihrer niederländischen Heimat entsprechend geschmückt hatten und später klassizistisch überformt worden war.
Im Keller fand man auch die barocken Originaltüren wieder. Sogar sie wurden wiederaufgearbeitet und an ihren alten Platz gehängt. Die Geschäftsadresse gibt sich eine Fassade, ein aus der Historie geliehener Leumund. Die Hülle bleibt, die Einrichtung wechselt. Während die Struktur nicht angetastet, die meisten Wände übernommen wurden, gibt sich die Ausstattung, für die die Münchner Innenarchitektin Dagmar Marx das Konzept erarbeitete, bewußt modern, ja zeitgeistig. Um jedem Raum, insbesondere den fünf Appartements, ein individuelles Ambiente zu verleihen, konnte sich ein halbes Dutzend Dekorateure austoben.
Alles, was die Kataloge der Designer derzeit hergeben, wurde aufgeboten: zum Beispiel dropsartige Klingelknöpfe, wer sie drückt, verspürt instinktiv Erdbeergeschmack am Finger. Oder ultradünne Briefkästen, die neben dem Eingang eine Regalskulptur bilden, auf der sich aber nichts ablegen läßt. Knallrotes Linoleum begleitet den Aufstieg im Treppenhaus. Martialische Lichtschaufeln erhellen die Wände. Auf den Schreibtischen stehen Lampenkreationen, deren Namen kennt, wer regelmäßig Designzeitschriften durchblättert. Im Keller schließlich verbirgt sich in einem gläsernen Iglu die Sauna. Die Kollektion ließe sich beliebig fortsetzen.
Dagmar Marx hat Geschmack bewiesen, doch das ist kein Kompliment. Allzu vieles, was beim Betreten des Hauses noch beeindruckt, hat beim Verlassen schon seine Originalität verloren. Alles ruft, nein, schreit nach Aufmerksamkeit und hat doch nichts zu sagen. Die Ausstattung bleibt eine Ansammlung überambitionierter Einzelobjekte. Eine Idee, die ihre Zusammenstellung begründet, ist nicht zu erkennen. Folglich reduziert sich eben alles auf Geschmacksfragen. Das Design bestimmt nicht das Bewußtsein. Es bleibt Dekoration, Formenspielerei.
Doch es gibt Ausnahmen. Im Seitenflügel zum Beispiel, der erst um die Jahrhundertwende angefügt wurde. Dort wird das Design zum Architekturkonzept, ja zum Lebensmodell. Hier befreite Siegfried Polaczy zwei Stockwerke von allen Trennwänden. Von den Abmessungen ist der Raum eher bescheiden. Doch er strahlt die Großzügigkeit einer Fabriketage aus. Um dieses Kapital nicht zu verspielen, entwickelte Tino Margadant für die notwendigen Einbauten zwei ungewöhnliche Konzepte.
Im sogenannten „grünen Zimmer“ stellte er Küchenzeile und Naßzelle mittig in die Längsachse. Die beiden offenen Container aus Holz, Glas und Luft gliedern den Raum, ohne Empfangs-, Wohn- und Schlafbereich abzuschließen. Von jedem Punkt aus atmet der Gast das Volumen des ganzen Raumes. Zusammengehalten werden beide Boxen durch einen Kranwagen. An den stählernen Tentakeln der Laufkatze hängen Fernseher und HiFi-Anlage. Per Knopfdruck verfolgen sie den Gast ins Schlafgemach. Ebenso raffiniert indiskret werden Bett und Bad durch eine Wand aus Glasbausteinen, die Dusche, abgeschirmt. Das Wagnis hat hier bereits einen Dauermieter gefunden.
Im Stockwerk darüber reduziert sich die Möblierung auf zwei parallele Holzplatten: eine horizontale unter den Fenstern, eine vertikale an der Wand. Beide durchmessen die ganze Länge des Raumes, strecken ihn. Ein Wandbild verlängert dessen Effekt mit kitschig-theatralischer Selbstironie ins Unendliche. Bett, WC, Waschbecken, Dusche, Küchenzeile, Schränke – alles übrige verbirgt sich hinter der Bretterwand. Was man braucht, wird aufgeklappt, der Rest kann den Raum nicht verstellen. Wenn alles geklappt hat, kann sich der Gast per Fernbedienung zudem ein Lichtambiente aufrufen, das seiner momentanen Stimmung entspricht. Zwischen „Disco“ und „Dämmerung“ verschwimmt die Frage, ob hier das Design mit seinem Bewohner spielt oder umgekehrt.
Teil V der Serie „Wie gewohnt?“ erscheint am 7. Dezember: Wohnanlage Friedrichstadt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen