Wand und Boden
: Schrille Töne

■ Kunst in Berlin jetzt: pop mix / vol. II, Milovan Markovic, Sarah Lucas

Hunter Reynolds hat eine Stirnwand in sechs gleich breite Farbstreifen unterteilt. An diesem Farbcluster aus kreidig gedämpften Rosa, Bleu, Gelb und Grün zieht er in drei Spitzen eine Kaskade von Frotteehandtüchern hoch. Seine Frottee- Frequenz-Kurve erinnert stark an die Sägezahnkurve des Kölner Instituts für Neue Musik. Die Töne, die dieser Frequenz folgten, hörten sich schrill an. Die Assemblage dagegen, die das „High“ der sechziger auf das neue „Low“ der neunziger Jahre bringt, sieht schlicht unverbraucht und frisch aus. Was insgesamt für die Fortsetzung von „pop mix / vol. I“ gilt, die Kathrin Becker jetzt bei Shift e.V. als „pop mix / vol. II“ kuratiert hat. Maya Roos, bekannt für ihre makellosen Leinwandquadrate mit den Ton in Ton eingemalten konzentrischen Kreisen, zeigt überraschenderweise ein rosafarbenes T-Shirt mit einem ebenfalls perfekten Oval, das aus den Worten „All around is Beauty“ gebildet ist. Gebrauchsfertig wie die Frotteehandtücher.

Die Tendenz des crossover von Kunst und Pop, von Kunst und Leben zum totalen Konzeptraum, der Club heißt, vertreten mediamorph. Ihr Dancefloor ist der sehr wahrscheinliche Ort für die „Schneeflittchen“, die wir alle gerne wären – jedenfalls nach dem Betrachten von S.M.V.D. Lindens gerade preisgekröntem Video „Megaflittchen“. Ihre Chorus line von koketten Mösen und aufrechten Schwänzen, aus „1000den pixeln“, ist frech und die Begleitmusik von nervtötender Ohrwurmqualität. Susanne Paeseler biegt die Geschlechterrollen, die S.M.V.D. Linden zu egalitär sieht, wieder zurecht. Was nicht weniger unverschämt ist, wenn sie einem Paar rosa- beziehungsweise bläulich-karierten Sperrholzwürfeln zugeschrieben werden. Der eine ist innen rosa und an den Seiten mit Herz-, Halbmond- und Kreisformen geöffnet, der andere hellblau und mit spitzen Formen, also Dreieck, Rhombus etc. durchbrochen. Matt Rangers Space-Kadettenzeigen, daß die Spur des Pop schon zu Beginn der 90er Jahre aufgenommen wurde.

Bis 1. 12., Do.–So. 15–19 Uhr, Friedrichstraße 122/123

Von „pop mix / vol. II“ zu Milovan Markovics Bilderzyklus „Transfigurative Painting“ in der Galerie A. von Scholz ist der Weg – nicht nur im fußläufigen Sinne – nicht weit. Die amerikanische Pop-art der sechziger Jahre hat schließlich das Porträt rehabilitiert, wie es in der populären Massenpresse zu finden war. Auf diese Tradition bezieht sich Markovic, um sie radikal zu unterlaufen. Nur die Eigennamen in den breiten Goldrahmen machen deutlich, daß es sich bei den zwölf monochromen Bildtafeln um die Porträts prominenter zeitgenössischer Frauen wie Jessye Norman, Hillary Clinton oder Benazir Bhutto handelt. Ihr Gesicht ist ihr Make-up, ihre Selbsterfindung, ihr Lippenstiftrot, mit dem sie sich selbst, ihre sogenannte Persönlichkeit, in ihr Gesicht einschreiben. Markovic übernimmt diese Technik im kulturellen wie im materiellen Sinn und malt mit orangefarbenem Lippenstift das Porträt der berühmten Räuberhauptfrau Phoolan Devi, während ein giftiges Violett Vivienne Westwood charakterisiert. Ein zarter Duft gibt ihm für seine Porträts noch einmal mehr Recht.

Bis 7. 12., Mi.–Sa. 14–19 Uhr, Bergstraße 22

Der mimetische Gebrauch des trivialen Materials Lippenstift bürgt für Milovan Markovics anti-illusionistische, transfigurative Porträts. Auf „truth to materials“ setzt auch Sarah Lucas, auch dem Goldsmith's College entsprungen, wenn sie die Grenze zwischen Gebrauchs- und Kunstobjekt unklar halten möchte.

Ihre anti-illusionistischen Installationsarbeiten sind dabei von der erhabenen, goldgerahmten Monochromie allerdings denkbar weit entfernt. In den neuen Galerieräumen von Contemporary Fine Arts im zweiten Hinterhof der Sophienstraße 21 hat Lucas ein vollfunktionstüchtiges Water Closet aufgebaut, das sie aus ihrer Londoner Wohnung auf den Kontinent herüberschaffte, „The Great Flood“, 1996.

Man würde ihr zutrauen, daß sie der ängstlichen englischen Arroganz jenseits des Kanals, jeglicher zivilisatorischer Einrichtungen verlustig zu gehen, einen practical joke abgewinnt. (Wobei die Vorsichtsmaßnahme im Berlin der Außentoiletten ja unter Umständen nicht unbegründet ist.) Daneben plazierte sie einen verbrannten Ohrensessel, dessen verkohlte Hinterbeine Marlboro-Lights- Schachteln ersetzen. Einen Sturzhelm im Rennfahrerdesign hat sie aus Zigaretten zusammengeleimt: „Is Suicide Genetic?“ Das Schwarzweißfoto der rauchenden Künstlerin heißt „Fight Fire with Fire“. Auch wenn das allegorische Moment der Ausstellung Feuer und Wasser heißen soll, mir ist die konkrete Lesart des Raucherzimmers am liebsten. In Los Angeles würde man ihr für diese Installation irrtümlicherweise bestimmt einen Medizin-Preis verleihen.

Bis 7. 12., Di.–Fr. 12–19, Sa. 11–17 Uhr, Sophienstraße 21 Brigitte Werneburg