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Tugendterrors Geistermarsch

PC im Zeitalter ihrer medialen Vermonsterung: Das neue Buch des Polit-DJs Diedrich Diederichsen korrigiert die politische Korrektheit und die Aufgeregtheit ihrer Gegner – und ist zugleich ein Plädoyer in Sackleinen für eine neue linke Politik in Form einer biegsamen Front intelligenter Marginalisierter  ■ Von Thomas Groß

Seit der Heavy Metal des Industriezeitalters dem leisen Knuspern der Festplatte gewichen ist, sind auch die Gespenster kleiner und unscheinbarer geworden. Ganz aufgegeben haben sie das schwere Geschäft des Umgehens und Wiederkehrens allerdings nicht. Und wenn sie schon nicht gestorben sind, kann es passieren, daß die Lampe öffentlichen Nachtwächtertums sie sogar noch einmal als veritable Monster illuminiert.

So geschehen im Falle der Political Correctness, einer Strategie der Einflußnahme, der, wie Diedrich Diederichsen in seinem neuen Buch auseinanderlegt, von Anfang an Killerqualitäten zugeschrieben wurden – und zwar nicht von ihren Befürwortern, sondern von ihren Gegnern. „PC“, wie ein seltsam breiter Widerstand sie negativ festlegte, erschien stets verbunden mit den humorlosen Invektiven moralistischer, meist auch noch feministisch inspirierter Personen, die als siebte Kolonne des Tugendterrors ausgeschwärmt sind, um mit ihrer vom Campus amerikanischer Unis importierten Rede naturwüchsige Zwischenmenschlichkeiten zu unterminieren, freies Sprechen zu beschneiden – und am Ende (Panik!) sogar noch fürs gute alte Ficken ein Regelwerk aufzustellen. Die Aliens sind unter uns!

Ganz schön viel Perhorreszierung angesichts so eines Häufleins Korrekter, Veganer, Denkverbieter from outer space oder sonstiger randständiger Gestalten. „Könnte es sein“, fragt Diederichsen rhetorisch, „daß das, was die PC-Gegner so fürchten, heutzutage tatsächlich so wenig vorhanden ist wie ein Gespenst, und ihre Angstschreie eher die Töne von Bestrafungsphantasien schuldiger Schreibtischtäter sind?“ Wenn da was dran sein sollte, wäre auch die hiesige Mode des Gutmenschen-Bashing, die sich selbst als Gipfel tabubrecherischen Rebellismus feiert und von FAZ bis Titanic und weiter reicht, nichts anderes als Heulen mit den Wölfen.

Die historisch-kritische Rekonstruktion der Anwendungen eines aufs Schlagwort heruntergebrachten Begriffs im Milieu seiner Kontexte – so muß man Diederichsens Versuch im ihm eigenen Duktus wohl nennen – riecht ein wenig nach Archivstaub und scheint auf den ersten Blick keine besonders dankbare Aufgabe. Auf den zweiten zeigt sich schnell, daß es hier weniger um Philologenwerk geht als um das Aufklären von Rhetoriken, die Testfunktion haben, Grenzen neu setzen wollen, Öffentlichkeit definieren – die symbolische Seite von Machtpolitik.

Diederichsen zeichnet nach, wie der Anti-PC-Diskurs in den USA zuerst einer Logik des Epidemischen folgte. Künstler wie Andres Serrano oder der an Aids erkrankte Robert Mapplethorpe wurden Ende der Achtziger von rechten Politikern wie dem Senator Alfonse D'Amato plötzlich zum kulturpolitischen Problemfall stilisiert, dessen Schmutz- und Schundproduktion ein gesundes Amerika wiedererstarkter Familienwerte aus seinem sozialen Organismus auszuschließen hat. Daß diese Künstler gar nicht eigentlich „correct“ zu nennen sind, ist sekundär angesichts eines vermuteten „McCarthyismus von links“. Ob Schwarze, Schwule, Aliens oder andere Minderheiten in das Feindphantasma einrücken – die Grundfigur bleibt dieselbe: Eine als Kulturbewegung relaunchte Rechte baut coram publico den Popanz angeblicher linker Kulturhegemonie auf, um ihn mit großer Geste und im Namen westlich-universalistischer Werte von der Bühne zu treten.

Diederichsens Technik verfährt demgegenüber detektivisch und – auch um das Wort ist nicht herumzukommen – dekonstruktiv. Über das Aufspüren signifikanter Häufungen macht er plausibel, daß die Dämonisierung von Sprachregelungen, Quotierungen und anderen Antidiskriminierungsforderungen zwar dies- und jenseits des Atlantik einen unterschiedlichen Verlauf nahm, aber ähnliche Ziele im Kulturkampf verfolgt. Es geht um nichts weniger als die Vollendung eines Paradigmenwechsels, der die kurze Aufklärungsphase Ende der Sechziger mal schrittchenweise, mal mit den Methoden des großen kulturistischen Acid- Tests zurücknimmt – nicht zuletzt auch dadurch, daß der Antiautoritarismus in einer kuriosen Bündelung der Zuschreibungen nachträglich an allem Übel schuld sein soll: an Nazikindern, Geschlechterentfremdung, zuviel oder zuwenig Moral (bitte ankreuzen), an Pastorenbärten und weinerlichen Frauen (Vollmer!) ebenso wie am Wertezerfall und o.g. „Denkverboten“. Wer jetzt noch Einwände gegen den kapitalistischen Sachzwang hat, gehört zur loony left (=bekloppte Linke) und wird zur Selbstgeißelung geschickt – so er dies nicht schon in fröhlicher Vorwegnahme selbst besorgt hat.

Andererseits ... Diskursformationen, so geschlossen sie scheinen mögen, haben immer etwas Driftendes wie Wolken. Wer je in einer medialen Spielstätte gastiert hat, weiß dies aus allernächster Anschauung, und daß die von Diederichsen skizzierten Typen möglicher PC-Gegenpolitik selbst streng sprachlich gedacht sind, ist nach so viel D-Analyse nur konsequent: Wenn institutionalisierte Reden Machteffekte über Körper sind, dann muß logisch auch jede Verschiebung im öffentlichen Sprachgebrauch konkret ins Gefüge dieser Wirkungen eingreifen.

Es ist ein Lob der Dialektik in dieser Figur verborgen, vor allem aber der Wunsch, das Denken von 68 in seiner antisystemischen, „französischen“ Variante, die in ihrem nur teils oberirdischen Lauf ja die verschiedensten Konjunkturen durchwandert hat, für die Neunziger zu retten. In treuer Nachfolge Foucaults plädiert Diederichsen für eine Linke, die, nachdem die großen Entwürfe (Linkshegelianismus! Fortschritt! Weltrevolution!) nicht einmal unglücklich ruiniert sind, pragmatisch und situativ agiert, indem sie am konkreten Ort ihren Einwand zur Sprache bringt.

Das ist nun allerdings alter Diederichsen in neuen Schläuchen. Hinzugekommen ist in diesem Entwurf bloß die Rolle der politischen Korrektheit als eine Strategie, in der die Ohnmacht für einen Moment so tut, als sei sie tatsächlich herrschend – und es dadurch punktuell auch wird. Ansonsten kehren gerade im Begriff der symbolischen Politik mehr oder weniger explizit all die Diederichsenschen Lieblingsideen wieder: die Popgeborenheit linker Dissidenz; die strukturell ähnliche Lage von Künstlern, Bohemiens, HipHoppern und anderen als eine biegsame Front intelligenter Marginalisierter; der daraus destillierte Geist einer Avantgarde, die die verwaiste Position des sog. „revolutionären Subjekts“ besetzt; schließlich die Vorstellung vom Wirklichen als eine Art Text, in den die Gesamtkunstpraxis ästhetisch-politischer Hacker eingreift: Wenn Sprechweisen die Festplatte des gesellschaftlichen Selbstverständnisses bilden, ist PC – knusper, knusper, knäuschen – der Agent einer winzigen Umformatierung.

Zum Thema Wiederkehr aber ist zu sagen: Wer die Hyperlinks des Textes anklickt, entdeckt Eingänge zu den Dateien Situationismus, Surrealismus, Sprechakt- und Medientheorie. Spurenelemente Religionsphilosophie sind auszumachen. Ganz von fern geistert auch noch einmal das marxsche Den-Verhältnissen-ihre-Melodie- Vorsingen herauf. PC in diesem Sinne zu sein, heißt selbstredend nicht, bloß vergrantelt auf Kataloge mit Sprachregelungen zu pochen, sondern in ganz bestimmten Situationen keinen Spaß mehr zu verstehen: No Means No, wie ein Bandname es sagt, und „if you've got a fascist friend“ – mach Schluß mit ihm.

Gegen diese Zusammenfassungs- und Zuspitzungsleistung kann schwerlich etwas haben, wer je aus populärer Musik etwas anderes als den Sound der Herrschaft herausgehört hat. Schade nur, daß Pop als Sound so gut wie verschwunden ist aus dem Diederichsenschen Diskurshaushalt. Diederichsens Buch lese sich, schreibt Spiegel-Schnibben in seiner Rezension vom Montag, „als wolle er sich und seine geistige Minderheit davor schützen, entdeckt und ausgeraubt zu werden“. Genau das Gegenteil ist richtig. Nie war er so unfunky wie heute!

Noch keine Kampfschrift aus dem Hause Diederichsen war derart hyperrationalistisch bereinigt von aller ins Kraut schießenden Nebenwegespinnerei, hat sich so tief eingelassen auf Fußnotenkonvention und argumentatives Deduzieren. Kaum wird mal im Kaffeesatz gelesen, statt dessen gibt der Autor am Anfang eines Satzes ein Argument ein und schaut dann fast unbeteiligt zu, wie die Grammatik sich aufzurrt und einrastet. Aus dem Artist formerly known as Diederichsen ist ein Fall für die Akademie geworden. Selbst die Kapitelüberschriften („Der Kulturkrieg kriegt ein Baby“, „Phallus Shakespeare unter der PC-Guillotine“), Zitate der Zitatpop-Ära, sind nachträgliche Verlustigungen eines Textes, der ein wenig so wirkt, als sei er im Intercity zwischen Hamburg und Berlin in die Tasten gehackt worden.

Erkennbar ist, neben dem Versuch, die eigenen Aktien als Meinungsführer stabil zu halten, gerade noch der Versuch, dem etwas gehetzten Duktus die Coolness eines Handlungsreisenden und Polit-DJs zu verleihen, der es sich – Köln, Hamburg, Berlin, Pasadena! – schon aus Zeitnot gar nicht mehr leisten kann, seine Ware einigermaßen schmackhaft zu machen, es aber auch gar nicht mehr will. Weil so was nämlich inzwischen nach Schöner Schreiben, individualistisch barocker Subjektivität oder gar Gitarrenexpression riecht und deswegen angeblich immer schon Handwerk, Zuckerbäcker und Feuilleton zu sein hat.

Was aber, Diederichsen, haben solche Versuche gewaltsamer Entbürgerlichung je gebracht? Und was sind sie anderes als die Negation der fetten Achtziger, die jetzt im postpostmodernen Sackleinen des Seminarismus einherschreitet? Im Streben, sich rhetorisch so hart zu machen wie die Verhältnisse, um sie zu brechen, liegt ganz sicher auch ein Verlust. Tausend Plateaus hat dieses Buch nicht. Vielleicht noch fünf oder sechs. Immerhin.

Diedrich Diederichsen: „Politische Korrekturen“. Kiepenheuer& Witsch, 192 Seiten, 18,80 DM

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