piwik no script img

Hans Keilson – „die Erfahrung des Exils“

■ Der 86jährige Autor spricht über die „Überwindung des Nationalsozialismus“

„Die Erfahrung des Exils“ – so lautet der Titel einer Vortragsreihe des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, in der Vortragende aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens, aus Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, vertreten sein werden. Mit W. Michael Blumenthal, dem ehemaligen Finanzminister der Regierung von Jimmy Carter, nahm die Reihe bereits ihren vielversprechenden Anfang. Es folgen der holländische Schriftsteller und Psychoanalytiker Hans Keilson, der im internationalen Rohstoffhandel tätige Felix Posen, der Professor für Neuere Geschichte in Madison und Jerusalem George L. Mosse, die Prager Schriftstellerin Lenka Reinerova, der ehemalige Vorsitzende von Daimler Benz Edzard Reuter und der slowakische Professor für Pharmakologie Rudolf Vrba, dem 1944 die Flucht aus Auschwitz gelang.

Entscheidendes Merkmal der Vortragsreihe ist der kritische Blick auf deutsche Politik und Gesellschaft aus der spezifischen Befindlichkeit des Exils heraus. Schanghai, Holland, England, USA, Mexiko und die Türkei sind die Exilländer, die ihnen auf der Flucht vor Hitler oder nach überstandener Verfolgung Aufnahme gewährten. Exil meint hier jedoch immer mehr als nur den geographischen Ort, ist vielmehr eine Hyperbel für eine mit Trauer durchsetzte, mitunter auch von ihren düsteren Konnotationen befreite, produktive Lebenshaltung.

„Meine existentielle Grundlage ist das Exil“, sagt der 86jährige Hans Keilson, der grand old man unter den Vortragenden. Keilson, geboren 1909 in Bad Freienwalde an der Oder, gehört nicht nur in die lange Reihe jener Schriftsteller wie Gottfried Benn, Alfred Döblin, Ernst Weiß und Arthur Schnitzler, die auch Ärzte waren. Er ist weit mehr als das. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutet Jude sein vor allem, als Überlebender mit dem Kummer, aber auch den Künsten des Überlebens vertraut zu sein: Sein Medizinstudium verdiente er sich als Geiger und Trompeter, seinen weiteren Lebensunterhalt als diplomierter Sportlehrer an jüdischen Schulen, nachdem er 1934, nach bestandenem Arztexamen, Berufsverbot bekam. Seinem literarischen Debüt, „Das Leben geht weiter“, 1933 im S. Fischer Verlag erschienen und 1984 eben dort wiederaufgelegt, folgte alsbald das Schreibverbot. 1936 ging Keilson nach Holland in die Emigration und ließ seinem ersten Roman, eine Milieustudie vor dem Hintergrund der Großen Depression um das Jahr 1930, zahlreiche Gedichte sowie die im Untergrund geschriebene Novelle „Komödie in Moll“ folgen.

In einigen seiner Motive und dialektischen Konstruktionen überlagern sich literarische Tätigkeit und psychoanalytische Forschung: die Phänomenologie des Feindes etwa – Thema von Gedichten und insbesondere seines Romans „Der Tod des Widersachers“ – analysiert als reziproke Identifikation, wird im Kontext der Judenvernichtung zur Provokation, wie die Leserreaktionen in Israel gezeigt haben. Auch das Motiv der Friedhofsschändung, bedacht in den verschiedensten Gattungen seines Schreibens, findet in der Annahme, die Nazis haben den Tod töten wollen, eine ungewöhnliche Erklärung.

„Ein Grab in den Lüften“ – Keilsons gezielter Euphemismus für die Toten von Auschwitz – wurde auch seinen Eltern zuteil. Sie bleiben gräberlos, und so setzt er auch seine große wissenschaftliche Arbeit „Sequentielle Traumatisierung bei Kindern“, mit der er siebzigjährig promovierte, „an Stelle eines Kaddisch“. Seine Studie zu jüdischen Kriegswaisen in den Niederlanden, ein Standardwerk, resultierend aus seiner Tätigkeit als Mitbegründer der jüdischen Waisenorganisation in Holland, untersucht in einem deskriptiv-klinischen und einem quantifizierend-statistischen Verfahren die altersspezifische Traumatisierung und ihre Intensität.

In seinen Gedichten macht Hans Keilson Begriffe aus Medizin und Psychiatrie zu Metaphern für die jüdische Existenz im Exil. Vor allem aber kreisen seine Gedichte um den einzigen Ort, an dem er Heimatrecht gelten läßt: die Sprache. In seinem Gedicht „Schizoid“ steht die „Syntax des Schweigens“ für die Ortlosigkeit des Emigranten, der ohne Worte bleibt. Und sein programmatisches Gedicht „Sprachwurzellos“ nennt Vertreibung aus der deutschen Sprache sein Los und die Mühe „um die Geheimnisse des Konjunktivs“ im Exil vergebens. Neben der Sprachheimat läßt er eine andere nicht gelten; das Exil selbst ist sein Zuhause. Das Wesen des Exils ist für Keilson ein Amalgam aus der Freudschen Metapher vom inneren Ausland und dem Satz der jüdischen Mystik: Jedes Sein ist ein Sein im Exil! Monika Körte

Hans Keilson hält heute abend um 18 Uhr den Vortrag „Überwindung des Nationalsozialismus. Literarische und psychoanalytische Annäherungen“ im Mathematikgebäude, Hörsaal 004 der Technischen Universität Berlin, Straße des 17. Juni 136

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen