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Bomben und Pressekonferenzen

Korsikas bewaffnete Nationalisten machen die Regierung von Premier Alain Juppé lächerlich  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Eine Regierung, die „hart durchgreift“ und dabei partout nichts zu fassen kriegt. Justiz- und Polizeitruppen, die sich gegenseitig bei der Arbeit behindern. Eine bewaffnete nationalistische Bewegung, die zwar völlig minoritär ist, aber jede Nacht mindestens eine Bombe zündet und tagsüber mit Presseerklärungen den Premierminister in die Enge treibt. Und eine einst als großer Wurf angekündigte Sonderwirtschaftszone, die die Beschenkten gerade noch aus Höflichkeit annehmen. Das sind die Elemente der französischen Korsika-Politik, die zwar viel von sich reden macht, aber nicht von der Stelle kommt.

Die beiden jüngsten Knalleffekte fanden beinahe gleichzeitig statt. Der erste: In der Nacht von Montag auf Dienstag rückten Mitarbeiter der Antiterrorabteilung der Pariser Staatsanwaltschaft auf der Insel an und führten vor laufenden Fernsehkameras eine Razzia im Nationalistenmilieu durch. Ihre Anreise auf der hellhörigen Mittelmeerinsel hatte soviel Aufsehen verursacht, daß einer der Gesuchten bereits vorzeitig abtauchte. Die 15 tatsächlich Festgenommenen werden voraussichtlich keine größeren rechtlichen Schwierigkeiten bekommen. Denn außer ein paar Waffen und einer schußsicheren Weste fanden die Ermittler bei ihnen nichts, das den Aufwand gerechtfertigt hätte. Schon gar nicht die erhofften Hinweise auf das Autobombenattentat vom 1. Juli, bei dem es einen Toten und einen Schwerverletzten gab.

Auf der Insel hinterließ die medienwirksame Razzia dennoch einen bitteren Nachgeschmack. Vor allem bei der örtlichen Polizei, die befürchtet, daß das Pariser Getöse ihre Arbeit mehr behindert als unterstützt. Ein ähnlicher Konflikt war schon Ende Oktober aufgetaucht, als die Pariser Antiterrorabteilung mit großem Getöse eine zeitgleiche Razzia auf dem Festland in Bordeaux und Marseille und auf der Insel in Bonifacio durchgeführt hatte und letztlich nur eine Person fand, gegen die sie ein Verfahren eröffnen konnte. Aufklärung über das Bombenattentat gegen das Rathaus von Bordeaux, in dem Premierminister Alain Juppé Bürgermeister ist, brachte die Razzia nicht.

Der zweite Knalleffekt in der Nacht von Montag auf Dienstag ging auf das Konto der korsischen Nationalisten des FLNC-Canal historique. Die Organisation ließ wenige Stunden vor dem Beginn des spanisch-französischen Gipfels in Marseille eine Bombe in der Post der benachbarten Kleinstadt Aix- en-Provence hochgehen. Es war binnen weniger Wochen die vierte korsische Bombe auf dem französischen Festland. Der FLNC-Canal historique ist entschlossen, die Regierung lächerlich zu machen.

Dabei hat die militärischste aller klandestinen korsischen Organisationen durchaus Sympathien für die französischen Konservativen. Beim Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr machte der FLNC-Canal historique keinen Hehl aus seiner Unterstützung für Jacques Chirac. Nur Chiracs Premierminister Alain Juppé stört die bewaffneten Kämpfer. Denn statt der Geheimverhandlungen, die in den letzten Jahrzehnten sowohl sozialistische als auch konservative Regierungen praktiziert haben, setzte er im Umgang mit dem FLNC-Canal historique auf Polizei und Justiz.

Plötzlich gab es Verhaftungen und Gerichtsverfahren in einem Milieu, das an stillschweigende Arrangements und geheime Gespräche mit hohen Regierungsfunktionären gewöhnt war. Als in diesem Herbst auch noch François Santoni, der Chef des legalen Arms der Organisation, „A Cuncolta“, wegen unerlaubten Waffenbesitzes in Abwesenheit zu vier Monaten Gefängnis verurteilt wurde, war die Eskalation da. Die Attentate dehnten sich erstmals auf „den Kontinent“ aus.

Der Verurteilte selbst ging in den „Untergrund“. Von dort aus gibt er Interviews und nimmt an Demonstrationen teil. Unter anderem „enthüllte“ er die Namen von Beratern aus Juppés Kabinett, die angeblich mit ihm verhandelt haben. Und er behauptete, daß die berühmte Pressekonferenz, die 600 schwer bewaffnete und maskierte Mitglieder des FLNC-Canal historique im Januar auf einem korsischen Berg abgehalten haben, vorher mit dem Premierminister „abgesprochen“ worden sei.

Der beschuldigte Premierminister, der Santoni vor dem französischen Parlament einen „Terroristen“ nennt, dementierte umgehend dessen Erklärungen. Und der französische Justizminister Jacques Toubon beeilte sich zu versichern, das „aktiv“ nach dem Verurteilten Santoni gesucht werde. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Premierminister und Terrorist – von den beiden Männern, die sich gegenseitig loswerden wollen – ist in Frankreich in aller Munde. Weniger die Rede ist davon, daß sich auf politischem Gebiet in Sachen Korsika gegenwärtig fast gar nichts tut.

Selbst das im Frühjahr groß angekündigte Wirtschaftsprogramm für die Insel, die Juppé in eine Art Freizone ohne Steuern und Sozialabgaben verwandeln wollte, ist so zusammengeschrumpft, daß das Inselparlament es am vergangenen Montag nur mit 26 zu 24 Stimmen annahm. Alle Linken und alle Nationalisten stimmten dagegen. Die Mitglieder von Juppés Partei stimmten dafür. Einer von ihnen erklärte: „Ein Geschenk lehnt man nicht ab, und wenn es noch so mickerig ist.“

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