Rückschritt in Japan: Nicht Politiker, Bürokraten regieren das Land

■ Die neue Regierung in Tokio fällt in schlechte alte Sitten zurück und schustert sich ein profilloses Kabinett zusammen

Tokio (taz) – Eigentlich verlas der neugewählte Sprecher des japanischen Parlaments nur den Siegernamen bei der Wahl des Regierungschefs. Doch das ohrenbetäubende „Hashimoto Ryutaro-kun“, das gestern im Tokioter Unterhaus die zweite Amtszeit des amtierenden Premierministers verkündete, war wegen seiner letzten drei Buchstaben ein Schlachtruf der Reaktion. Das informelle „kun“, Anrede unter Männern, hatte die jetzt abgelöste Parlamentssprecherin Takako Doi vor drei Jahren entmottet und durch das alltägliche „san“ ersetzt. Das „kun“ schloß nicht nur Frauen aus, sondern symbolisierte eine Altherrenkameraderie im Parlament, die ausrangiert schien. So dachte man zumindest bis zum Wahlsieg der Liberaldemokratischen Partei (LDP) vor zwei Wochen.

Nun aber ließ es die LDP am Tag der Regierungsbildung nicht bei einem Tonfallwechsel bewenden: Als hätten Frauen in Japan nie etwas mit Politik zu tun gehabt, berief Premier Hashimoto gestern nur eine Alibidame ins Kabinet, die sich ums Umweltministerium bemühen darf. Der Topjob im Finanzministerium wurde an den blassen Parteikrämer Hiroshi Mitsuzuka vergeben – ein Mann, der fürs Nichtstun steht in einem Ministerium, das am dringendsten der Reform bedarf. Ein weiteres vertrautes Unikum aus alten LDP- Zeiten: Kein Regierungsmitglied mit Ausnahme des Premierministers ist über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Ministerämter wurden nach Alter und Fraktionszugehörigkeit verteilt.

Der Schock der LDP-Alleinregierung saß beim japanischen Pressecorps so tief, daß einige Journalisten die neuen Kabinettsmitglieder mit ätzenden Fragen angingen: „Haben Sie ihren neuen Staatssekretär jemals gebeten, Eintrittskarten für Ihre Parteipartys zu kaufen?“ bekam Finanzminister Mitsuzuka zu hören. Doch Antworten gab es keine.

Im Rückblick scheint es nun geradezu erstaunlich, daß einige Politiker vergangener Koalitionskabinette spezifische Programme für ihr jeweiliges Ministerium formulierten. Da gab es sogar LDP-Figuren wie die ehemalige Wissenschaftsministerin Makiko Tanaka, die wußten, was sie gegenüber dem mächtigen Beamtenapparat durchsetzen wollten. Solch individuelles Standvermögen ist von einem LDP-Kabinett alter Machart selbstverständlich nicht zu erwarten: „Ich werde die neuen Aufgaben studieren“, kündigte der neuernannte Wissenschaftsminister an. Er hätte auch sagen können: Wir Politiker sind dumm und lassen die Bürokraten regieren.

Dabei hatten im Wahlkampf alle vom großen Konflikt zwischen Politik und Verwaltung gesprochen. Endlich sollte die gewählte Exekutive ihr Bestimmungsrecht über den Beamtenapparat ausüben. Doch davon blieb gestern nichts: „Ich wünsche mir keine Konfrontation mit den Bürokraten. Die müssen für uns hart arbeiten“, sagte ausgerechnet der frisch gekürte Gesundheitsminister Joichiro Koizumi. Von ihm, dem parteiinternen Gegner Hashimotos und LDP-Reformadvokaten, hatte man sich mehr versprochen.

Nach den Worten des Kabinettssprechers wird das zweite Hashimoto-Kabinett an der Einführung einer Pflegeversicherung und der Reform des Gesundheitswesens gemessen werden. Das sind hehre Ziele, doch sagt vorsichtshalber niemand, wann sie erreicht werden könnten. Ein Gesetz zur Verwaltungsreform wurde gestern über ein Jahr vertagt. Georg Blume