: Unter uns die Tysker
Die Teutoneninvasion im Urlaubsland Dänemark ist vorbei. Viele Dänen sind darüber heilfroh ■ Von Marc Bielefeld
Die deutschen Urlauber lieben ihr Dänemark. Sobald man über die Grenze ist, erlebt man die totale Entschleunigung. Wenig Verkehr, viel Natur und gemütliche Menschen – das konsumgeplagte Deutschland vergißt man hier schnell. Es ist wie auf der berühmten gemalten Tuborg-Reklame – der alte Mann und das Land. Der stützte sich auf seinen Stock, das Hemd halb aus der Hose und kratzt sich genüßlich am Hinterkopf, das Bier immer griffbereit. Und er hängt meistens an der Wand eines alten Steinhauses in einem Kaff irgendwo in der dänischen Walachei. Vor sich nur Felder. Vulgäre Neonreklamen wie die vor deutschen Bäckerei-Großketten zum Beispiel vermiesen hier niemandem das morgendliche Brötchenholen. Jedes Dorf hat seine eigene Bageri, die noch vom Familienbetrieb geprägt ist und von keiner Corporate-identity-Philosophie. Die Dänen backen zwar kleine, aber sehr leckere Brötchen.
Ein Tiefdruckgebiet vom Nordmeer zieht übers Kattegat nach Dänemark, die Hektopascal- Werte sollen auf 980 sinken. Wind aus Nordwest, Stärke sieben, später zunehmend acht bis neun. Skagen meldet Regen bei fünf Grad. Luftdruck und Temperaturangaben sind untrüglich: endlich Herbst! Der Blick aufs Kattegat gehört wieder den Fischern und Bauern, die spätestens ab sechs Uhr nachmittags mindestens soviel Schlagseite haben wie die einsame Yacht draußen im Sturm. Auch in den Krøs und den Bodegas stimmt das Bild wieder. Die grünen Bierflaschen müssen nicht mehr massenweise fremdgehen, und die vielen Hot dogs an den Frittenbuden sind keine Touristenhappen mehr, sondern Dänemarks Grundnahrungsmittel Nummer eins. Neben dem Tuborg, versteht sich.
Draußen tobt ein Tief. Und dennoch: „Schlechtes Wetter gibt es nicht“, steht im Dan-Center-Katalog. Der dänische Ferienveranstalter mit den schier unzähligen Sommerhäusern preist Dänemark als ganzjähriges Urlaubsparadies. Und das verkauft er gut. Spätestens wenn Silvester die Korken knallen, ist wieder Hochsaison, rot markiert. Dann laufen vor allem die Luxushäuser. Die Insassen der Autos aus WU, FL und BO, aber nie aus M, mit den weißschwarzen Nummernschildern und den gelben Sternen auf blauem Grund planschen dann in den Pools, sitzen in Jacuzzis und Saunen. Dem Sturm trotzen sie mit der Johnnie- Walker-Einliterflasche aus dem Duty-free-Shop von der Fähre.
Der alte Fischer fragt sich: „Europa, wo ist das?“ Der sich langsam vereinende Vielvölkerbund, der sich mit dem allsommerlichen Besucherstrom, vor allem aus Deutschland, immer wieder hartnäckig in Erinnerung bringt, scheint jetzt ganz weit weg. Irgendwo da unten, denkt der Fischer, liegen Berlin, Paris, London und jetzt noch Leipzig. Und der sonnige Süden Italiens, Griechenlands und Spaniens. Und Maastricht. Maastricht? Ja, ja, das ist der Ort, wo die Zigaretten so günstig sind, der Schnaps so billig, sagen die einen. Nej, tak, die anderen.
Paul, dem die Bodega-Bar in Nykøbing gehört, mag Maastricht. „Im abgekapselten Dänemark kannst du nie etwas werden“, sagt er, „und wenn du Pläne hast oder Ideen, stellt man dir ein Bein.“ Seiner Regierung traut er schon lange nicht mehr. Wenn er einen Porsche fahren will und dafür viele, viele Biere zapft, will er nicht so lange sparen, bis er sich dafür gleich ein ganzes Sommerhuset mit Swimmingpool kaufen könnte. Das würde er dann sowieso nur an die Tysker vermieten, die dann gleich mit zwei Porsches angefahren kämen und dafür nur die Hälfte bezahlt hätten. Sauerei! Paul hat die Faxen und das Faxe dicke. Er träumt von gutem Rotwein, gutem Wetter und von Frankreich. Maastricht käme ihm gelegen.
Ole Peddersen, der Maler, sieht das alles ganz anders. Er ist stolzer Däne, geht lieber kostenlos zum Zahnarzt und freut sich ein Loch in den Bauch, wenn er den Tyskern die Narbe drauf zeigen kann und ihnen erzählt, er hätte sie im Sygehus – im Krankenhaus – ganz umsonst gekriegt. Nein, nein, Europa – bloß nicht! Alles soll schön beim alten bleiben, denn so wie die Tysker möchte Ole nicht enden. Ansichten. Paul hat seine, und Ole hat seine. Trotzdem sitzen sie oft zusammen und streiten bis tief in die Nacht hinein.
Auch auf Rømø, der Nordseeinsel knapp hinter der Grenze, machen die Teutschen von sich reden. Und das nicht nur bei Nacht. Das Teutonenreich ist nah, und irgendwie werden die Dänen hier den Eindruck nicht los, als wolle man ihre Insel tyskerisieren. Immer skeptischer werden die Blicke, wenn jedes Wochenende wieder der große graue Mercedes aus HH um die Ecke biegt und direkt vor dem schönen alten Reetdachhaus parkt. Wenn Familie Pieper deutschen Sekt und deutsches Bier entlädt und auch noch stangenweise Zigaretten und sich's dann vorm Kamin bequem macht. Und das nicht nur in der Haupt- und Nebensaison, sondern auch in der Zwischensaison, grün markiert. Verdacht wird laut, daß einige Dänen ihre Husets den Tyskern unterderhand verkaufen. An Markierungen im Katalog müßte sich dann bald kein Deutscher mehr orientieren, dann wäre immer Hochsaison, schwarz, rot, gold. Der Metzger und die Bäckerin finden das gar nicht komisch, denn schließlich wollen sie ihre Wurst- und Brotwaren verkaufen, und das nicht nur an den Wochenenden. Davon müssen sie leben. Außerdem sprechen sie hin und wieder auch mal ganz gerne dänisch.
Auch Hans, Matrose, bangt um sein Land. Er kennt die Autokolonnen an der Fähre Puttgarden– Rödby, die sich im Sommer jeden Tag bilden und sich gen Norden schieben. „Wir müssen schon eine ganze Menge Sommerhäuser haben, um die alle unterzubringen“, sagt er. Die Tatsache, daß an den dänischen Grenzposten schon lange keine Paßkontrolle mehr gemacht wird, stimmt ihn dabei nachdenklich. „Dänemark ist das schönste Land, um arm zu sein“, erklärt er. „Wenn Dänemark sich öffnet, mach' ich die Biege.“ Hans weiß warum. Denn wenn er arm sagt, meint er reich. Reich an Platz, reich an schiefen Balken in alten Bauernhöfen, reich an Bäumen, die vom Westwind ostwärts wachsen. Reich an kleinen Geschäften und reich daran, den Uhrenmacher noch beim Namen zu kennen. Mit reich meint Hans wohl, von dem ganz wenig zu haben, von dem die Tysker viel zuviel haben.
Skagen meldet inzwischen sieben. Der Luftdruck soll noch weiter fallen. „Das gibt einen schönen Sturm“, sagt Rasmus, nachdem er wieder neben seinem Tuborg Platz genommen hat. Und er muß es ja wissen. 40 Jahre war er bei der dänischen Marine auf einem Minenleger unterwegs, ist auf Schiffen um die ganze Welt gefahren. Heute ist er 65 und braucht nirgends mehr hinzufahren, um die Menschen zu verstehen. Aus seinem großen Gesicht mit dem weißen Bart und der faltigen Haut starren mich zwei Augen an, die von weit hinten aus dem Kopf herauszugucken scheinen. Nej, nej, die Tysker mag er nicht besonders, sagt er. Rasmus bestellt noch zwei Tuborg. „Es ist gut, daß Herbst ist. Wird sehr ruhig hier oben. Und im nächsten Sommer könnt ihr dann wiederkommen.“ Nach dem letzten Schluck wankt er aus der Tür. Seine letzten Worte klingen mir noch im Ohr. Die Tysker seien ja auch nur Menschen, hatte er noch leise gesagt. Bloß die Betonbunker, die die Nordseeküste von Rømø bis Skagen pflastern, könnten sie langsam mal wieder abholen.
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