„Ein bißchen unglücklich“

Leichtherzig hakt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das 1:1 in der WM-Qualifikation gegen Nordirland als Ausrutscher ab  ■ Aus Nürnberg Matti Lieske

Was tut eine Mannschaft, die sich irgendwann während der Europameisterschaft entschieden hat, daß das Ergebnis doch wichtiger ist, als blendenden Fußball zu bieten, wenn sie dieses Ergebnis erstmals nicht erreicht hat? Sie druckst herum. Sie windet sich. Und je mehr Zeit nach dem Schlußpfiff ins Land geht, desto besser gerät in der Erinnerung das Spiel, desto verteufelter das Pech, desto harmloser der Verlust von zwei Punkten in der Gruppe 9 der WM-Qualifikation.

„Mit dem Ergebnis können wir natürlich nicht zufrieden sein“, sagte Bundestrainer Berti Vogts nach dem wenig beeindruckenden 1:1 gegen Nordirland, „aber“: mit der Art, wie die Chancen herausgespielt worden seien, schon. „Und Chancen hatten wir verdammt viele.“ Am Ende habe vielleicht „das unbedingte Wollen“ gefehlt, „aber“: Die Räume seien sehr eng gewesen. „Die Mannschaft hat eigentlich alles richtig gemacht, aber das Quentchen Glück hat gefehlt.“

Damit war das Aber-Festival aber keineswegs beendet, denn auch die Spieler wollten ihren Teil beitragen. Besonders aberwitzig gelang dies Andreas Möller, der in seiner wechselvollen Karriere eine Sache betreffs Spielkritik fest verinnerlicht hat: Man darf die Partie auf keinen Fall schönreden. Da dies aber seinem Naturell extrem entgegensteht, entwickelt sich oft ein beachtlicher Eiertanz. „Natürlich“, ein 1:1 daheim gegen Nordirland, das klinge enttäuschend, „aber: Man kann uns keinen Vorwurf machen.“ Schließlich habe man Torchancen herausgespielt, diese bloß nicht nutzen können. Nun ja, in manchen Situationen sei „ein bißchen unglücklich“ gespielt worden, „aber: Wir haben alles versucht.“ Sicher, „1:1 gegen Nordirland klingt enttäuschend, aber“: Die Mannschaft harmoniere gut. Und so weiter und so fort.

Auch Dieter Eilts befand, man habe „alles richtig“ gemacht, „aber“ Pech gehabt, Michael Tarnat hatte gar „guten Fußball“ gesehen, ebenso wie Jürgen Kohler („Aber: Die hatten einen überragenden Torwart“), und das Schlußwort sprach Fredi Bobic: „Wir sind auf einem guten Weg, aber“: die Chancen, die Chancen.

Nun begab es sich, daß die vielgerühmten Chancen allesamt Kopfballchancen waren, was von einer gewissen Hilflosigkeit zeugt, da hohe Flanken normalerweise nicht als probates Mittel gegen eine nordirische Mannschaft gelten. Und verpaßt wurden die wenigen Gelegenheiten, weil, wie Berti Vogts erkannte, den Herren Bobic, Klinsmann, Babbel und Möller nicht genug Zeit blieb, die Bälle zu plazieren. Dies gelang lediglich Klinsmann, um eine Winzigkeit suboptimal, in der 65. Minute, als sein Kopfball vom linken an den rechten Pfosten und dann in die Arme des Torwarts Wright sprang, und vielleicht wäre es Bierhoff kurz vor Schluß gelungen, wenn sich nicht Möller berufen gefühlt hätte, dem Spezialisten der Stirn das Leder in letzter Sekunde wegzuschnappen und über die Latte zu köpfen.

Ansonsten verfing sich das deutsche Spiel permanent in der dichten Abwehr der Gäste, und so war es kein Wunder, daß der einzige Mensch, der sich aber-frei glücklich präsentierte, der irische Coach Bryan Hamilton war. Er hatte zur Verstärkung seiner Abwehr sogar das größte Talent des Landes auf der Bank gelassen, den 21jährigen Angreifer Keith Gillespie, einziger Spieler im Kader Nordirlands, der in einer Spitzenmannschaft, bei Newcastle United, Stammspieler ist. „Von einer „Handballdeckung“ sprach Andreas Möller, und Bobic meinte: „Wir hatten sie mit einer Viererkette erwartet, aber nicht mit einem Libero dahinter und zwei Liberos davor.“ Zu eng für Doppelpässe, außer bei Möllers Ausgleichstor in der 41. Minute, als die Iren, noch benebelt von ihrer kurz zuvor erzielten Führung, zu dritt zuschauten, wie der Dortmunder den Ball ins Netz hämmerte.

Die meiste Zeit wurde vor dem neunköpfigen Abwehrbollwerk quergepaßt, bis schließlich ein für Wright unproblematischer Fernschuß oder eine Flanke heraussprang, die erstaunlich oft gefährlich wurde, auch weil der türkische Schiedsrichter Ahmet Cakar den deutschen Angreifern manchen Schubser durchgehen ließ. Den heftigsten leistete sich Klinsmann, als er seinen Gegenspieler mit Wucht in die Werbebande feuerte, aber wie üblich ungestraft davonkam.

Man kann dem deutschen Team kaum vorwerfen, daß es gegen den Fortuna Düsseldorf-Fußball der Iren, die bei ihren wenigen Vorstößen die deutsche Verteidigung wiederholt in Schwierigkeiten brachten, nicht alle fußballerischen Angriffsvarianten probiert hätte. Gleichzeitig wurde aber sichtbar, daß die spielerischen Möglichkeiten, einen solchen Abwehrriegel auszuhebeln, begrenzt sind und es „das Quentchen Glück“ braucht, trotzdem zu gewinnen. Am Ende war Berti Vogts sogar froh, wenigstens einen Punkt mitzunehmen. „Normalerweise verliert man ein solches Spiel.“

Ein wenig nonchalant gingen die Spieler mit dem Verlust zweier fest eingeplanter Punkte um. Die Vorstellung, daß der Europameister nicht zur WM fahren könnte, scheint ihnen offenbar absurd, auch wenn Dänemark zuletzt bewies, daß dies sehr gut möglich ist. Die Tatsache, daß das Heim- Unentschieden gegen einen Underdog schon im zweiten Spiel passierte, trübt den Blick zusätzlich. Die Qualifikation sei noch lang, war der Tenor, und Klinsmann sagte flapsig: „Holen wir die Punkte eben im Dezember in Portugal.“ Doch nicht umsonst spricht Nordirlands Coach leicht makaber von einer „Todesgruppe“. Nur der Gruppengewinner fährt 1998 sicher nach Frankreich, und um diesen Rang zu erreichen, sind Siege vor allem zu Hause, aber auch auswärts, gegen Mannschaften wie Albanien, Armenien und Nordirland eigentlich Pflicht. Sonst muß man die Punkte tatsächlich in Portugal und der Ukraine holen – ohne Wenn und Aber.

Nordirland: Wright - Nolan, Hunter, Hill, Taggart - Horlock, Lomas, Morrow, Hughes, Lennon (86. Rogan) - Dowie (76. Gray)

Schiedsrichter: Cakar (Türkei); Zuschauer: 40.700 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Taggart (39.), 1:1 Möller (41.)

Deutschland: Köpke - Reuter - Kohler - Babbel, Eilts (62. Paßlack), Strunz, Tarnat - Möller, Häßler - Klinsmann, Bobic (70. Bierhoff)