Die Bühne als heiliger Ort

■ Urs Dietrich bescherte dem Bremer Tanzherbst mit seiner Solo-Choreographie "Da war plötzlich.." einen furiosen Abschluß

Schon mit seinen beiden Produktionen „Echo“ und „Die Langsamkeit des Augenblicks“ hat der Schweizer Choreograph und Tänzer Urs Dietrich entscheidend zum internationalen Renommée des Bremer Tanztheaters beigetragen. Nun beschloß Urs Dietrich – erstmals als Solotänzer – mit „Da war plötzlich...Herzkammern“ den Bremer Tanzherbst. Hinter die zum Teil fulminanten Gastspiele setzte er mit seiner einstündigen Produktion, die er zusammen mit Susanne Linke choreographiert hat, einen überragenden, begeistert aufgenommenen Schlußpunkt.

Inhaltlich geht es Urs Dietrich um das globale Thema der Existenz, doch tänzerisch gelingt es ihm, mit einem immer anderen Körperstil einen immer anderen inhaltlichen und atmosphärischen Raum zu schaffen, der die ZuschauerInnen in den Bann zieht und hält. Nackt liegt der gepeinigte und ausgesetzte Mensch am Boden, wie in einer Zelle politischer Gefangenschaft von oben grell beleuchtet und mit heulenden Sirenen präsentiert. Zu Skpulturen erstarren seine zeitlupenartigen Bewegungen, mit denen er wie ein Käfer auf dem Rücken zappelt, sich quälend weitertastet. Akustisch sind nur knallende Wassertropfen zu hören, was die hier thematisierte Ängstlichkeit und Einsamkeit für den Zuschauer bis zur Gänsehaut untermauert. Er muß raus hier, muß weiter, er zieht sich an. Es ist kein Widerspruch, daß das Ganze auch mit viel Komik verbunden ist: Wenn er zum Beispiel die lange Hose wie ein eigenständig laufendes Wesen mit den Füßen vor sich her stößt.

Im Hintergrund stehen - raffiniert beleuchtet rein ästhetisch wunderschön – Hunderte von Flaschen. Die werden zum Symbol vom Lebenskampf des Menschen, in sie schliddert er hinein, auf ihnen rutscht er aus, einige schafft er mit ungeheurer Anstrengung in den vorderen Bühnenraum. Doch die Verwandlungen der menschlichen Existenz kommen nicht nur von außen, sie entstehen bei Dietrich auch – in einer stark meditativen, fast religiösen Aura – von innen: mit der Öffnung seiner taillenlangen Haare und einem unbeschreiblich schwebenden Gestus scheint er sich in eine Frau zu verwandeln: ein Blockflötenkonzert trägt dazu bei, diese neuartige Sphäre zu umreißen. Diese illusionäre Idylle wird eingeholt, als er an die Flaschen stößt und in ihnen und durch sie umkommt.

Auch Dietrich spricht von den einfachen Dingen des Lebens, aber welche Räume betritt er und macht sie für uns auf! „Für mich ist die Bühne ein heiliger Ort“ und „Die Wahrheit muß ans Licht!“, hat er einmal emphatisch über Bühne und Tanz gesagt. Hoch gehängt, gewiß, aber Dietrich kommt sehr nahe heran. Begeisterter Beifall.

Ute Schalz-Laurenze