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Die Flucht zurück in die Heimat

Die ersten Flüchtlinge sind aus Zaire nach Ruanda zurückgekehrt – voller Angst, wie es ihnen in dem Land ergehen wird, das sie vor zwei Jahren verlassen haben  ■ Von der zairisch-ruandischen Grenze Caroline Schmidt-Gross

„Richtig hektisch wurde es, als auf einmal jemand über Funk schrie: 10.000 zairische Flüchtlinge sind an der Grenze zu Ruanda angekommen. Da hieß es schnell reagieren. Etwa 200 Busse und Lastwagen mußten organisiert werden, um die Menschen dort abzuholen“, erinnert sich Edzard Nebe. Der 40 Jahre alte Maschinenbauer ist seit Anfang dieses Jahres im Auftrag der italienischen Hilfsorganisation coopi für die Koordination des Transitcamps Nkamira in Ruanda verantwortlich und damit für die Verteilung sämtlicher Flüchtlinge in der Region Ginsenyi und Ruhengeri zuständig.

Am Samstag nachmittag durften die ersten 150 Menschen die Grenze nach Ruanda passieren. Als die ersten Bombenexplosionen im Flüchtlingscamp Katale im Norden von Goma zu hören waren, versuchten sie, den Kämpfen zwischen den Tutsi-Rebellen und der zairischen Armee zu entkommen. „Als wir durch die Wälder liefen, haben wir uns nur von Früchten und Regenwasser ernährt“, erzählt die 25jährige Umazimizi. Um sich von einem ruandischen Grenzbeamten registrieren zu lassen, müssen sich alle in einer Schlange aufstellen. Umazimizi ist mit einem Baby, zwei Jungen und ihrem Mann angekommen. Zwei Kinder im Alter von vier und fünf Jahren hat sie jedoch verloren. Ihre Familie konnte nur einen schwarzen Koffer mit Kleidungsstücken, eine blaue Plastikschüssel und einen zerfetzten Leinensack retten. Jetzt will Umazimizi zu ihren Eltern nach Gisenyi zurückkehren.

Das Auffanglanger liegt an der Hauptstraße zwischen Kigali und Gisenyi, etwa 21 Kilometer von Goma entfernt. Es ist die erste Station. Bei ihrer Ankunft müssen die Flüchtlinge zunächst eine Kontrolle durch das Militär über sich ergehen lassen. Die Kaserne grenzt, nur durch einen Maschendraht getrennt, direkt an das Camp. Ebengerade ist einer der rotweißgestreiften und ziemlich verrosteten Busse des UN-Flüchtlingshilfswerkes (UNHCR) angekommen. Acht Männer, zwei Frauen mit je einem Kleinkind auf dem Rücken steigen aus. Ruandische Soldaten inspizieren genauestens die aufgerollten gelb-schwarzen Schlafmatten und durchsuchen zwei Koffer. Es gilt zu verhindern, daß Waffen in das Lager geschmuggelt werden oder Hutu-Milizen, die 1994 für den Genozid an den Tutsi verantwortlich waren, wieder unbemerkt nach Ruanda gelangen können. „Die Prozedur dauert wahrscheinlich noch bis zum Abend“, erklärt Edzard Nebe, „dann können wir sie im Transitlager aufnehmen.“

Hier kümmern sich sofort 38 einheimische Mitarbeiter im Auftrag von UNHCR, Ärzte ohne Grenzen und coopi um die Flüchtlinge. Zunächst einmal werden sie in einem kleinen grauweißen Zelt ärztlich untersucht. Darauf folgt die Aufnahme der Personalien. Vor einem nächsten Zelt warten geduldig mehrere Frauen, auf Koffern und weißen Plastiksäcken sitzend, auf ihre Registrierung. Sie müssen angeben, aus welcher Gemeinde in Ruanda sie ursprünglich stammen, dann werden sie mit einem Paß für die ganze Familie ausgestattet.

Der nächste Schritt ist die Versorgung mit dem Nötigsten. Vor einem länglichen Backsteinbau haben sich etwa 20 Menschen in einer Reihe aufgestellt. Hier wird die erste Ration zum Überleben zugeteilt: 24 Kilo Mais, 7,2 Kilo Bohnen, Erbsen oder Kohl, 1,2 Liter Pflanzenöl, 500 Gramm Salz, ein gelber Wasserkanister, ein Eimer mit Deckel „den kann man immer brauchen“, lacht Nebe, sowie Kochtöpfe, Saatgut, Seife, Kekse und die obligatorische blaue Plastikplane. Damit muß eine Familie die nächsten zwei Monate auskommen. Meistens reicht es jedoch nur für sechs Wochen.

Einige Tage später werden die Flüchtlinge dann in ihre Heimatdörfer zurückgebracht, nachdem der Präfekt zuvor vom Transitcamp informiert worden ist, so Nebe. „Sie werden vor Ort zwar weiterhin von Hilfsorganisationen betreut, doch inwieweit die Repatriierung tatsächlich funktioniert, davon haben wir oftmals keine Ahnung. Aber trotz erheblicher Landknappheit scheint es einigermaßen zu funktionieren. Die meisten erhalten einen Hektar Land. Durch Subsistenzwirtschaft kann sich so etwa eine Familie zukünftig mehr schlecht als recht ernähren.“ In einem der UNHCR-Busse warten bereits zehn Fahrgäste. Es sind Tutsi aus Goma. Sogenannte Old- Case-Loaded. Das heißt Menschen der zweiten Generation von Flüchtlingen, die bereits 1959 Ruanda verlassen mußten. Jetzt versuchen sie, bei Verwandten in Gisenyi unterzukommen, erklärt der ehemalige Verwaltungsbeamte Mwiyeretsi-Delphin. „Es wird zwar eng, aber ich will sobald wie möglich wieder zurück“, sagt er. Seine Frau ist aus Zaire und deshalb in Goma geblieben. Seit Tagen hat er nichts mehr von ihr gehört.

Wesentlich dramatischer war die Flucht von 35 Hutu – sogenannten New-Case-Loaded – darunter werden die Flüchtlinge vom Jahr 1994 zusammengefaßt. Insgesamt vier Familien mit fünf Kleinkindern gelang es die umkämpften Lager Kahindo und Kibymba in Ostzaire zu verlassen. „Als die Kämpfe losgingen, brach ein totales Chaos aus. Dabei haben wir unseren zwölfjährigen Jungen verloren“, erzählt ein Mann mit ausdruckslosen Augen. Alle seien in verschiedene Richtungen gelaufen, seine Familie zunächst nach Westen. Doch dann seien sie umgedreht und hätten sich 15 Tage lang Richtung Osten durch die Wälder geschlagen. „Ernährt haben wir uns von dem Verkauf von Hilfsgütern aus den Camps, die wir noch schnell mitgenommen haben“, fügt eine junge Frau in einem abgerissenen und schmutzigen Rock hinzu. Auch drei Schwestern im Alter von elf, zwölf und 15 Jahren gelang die Flucht. Die älteste weint ununterbrochen. Sie waren beim Wasserholen, als das Lager Kibymba bombardiert wurde. Sie mußten ohne Schutz in den Wäldern übernachten. „Auf unserem Weg haben wir viele Tote gesehen. Sie sind erschossen worden oder an Krankheiten gestorben“, schluchzt Nyrakaramenga. Wo ihre übrigen Geschwister sind, weiß sie nicht. Auch das Schicksal ihrer Onkel, mit denen sie im Camp zusammenlebten, ist ungewiß. In den nächsten Tagen werden sie in ihre ehemalige Heimatdörfer zurückkehren. „Dort will ich Land bestellen, damit wir davon leben könnten“, wünscht sich Uwinanimpane.

„Bemerkenswert ist“, erklärt Nebe später, „daß fast alle Hutu- Flüchtlinge, die wir aufnehmen, sich wundern, daß sie hier nicht sofort ermordet wurden. Ihre Führer haben ihnen erzählt, im Transitcamp gehe es zu wie in einem Konzentrationslager.“ Andere Flüchtlinge widerum seien mit Schußwunden im Rücken angekommen. „Bewaffnete Hutu-Milizen wollten sie mit Gewalt daran hindern, nach Ruanda zurückzukehren“, sagt Nebe.

Für saubere Latrinen, Kochplätze sowie Schlafplätze ist im Transitlager gesorgt. Von Chaos keine Spur. Momentan kommen im Schnitt etwa rund 100 pro Tag an. Der hauptsächliche Grund ist eine ständige Gehirnwäsche durch die bewaffneten Hutu-Führer. Das gibt auch der UNHCR-Sprecher von Gisenyi, Ray Wilkinson, zu. „Wir haben zwar versucht, in den Lagern um Goma unter anderem mit Videofilmen eine Gegeninformation zu schaffen, aber offensichtlich hat es nicht viel genutzt.“ Bislang ist nur vergleichsweise wenigen Menschen die Flucht in die Nachbarländer von Zaire gelungen. Dennoch hat aber die Fluchtbewegung in die Nachbarstaaten in den vergangenen Tagen zugenommen.

An der Grenze zu Uganda sind inzwischen etwa 4.000 Flüchtlinge eingetroffen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten zudem, einige hätte sich sogar bis nach Zambia durchgeschlagen. Am Freitag abend meldet das UNHCR, daß über 10.000 ruandische, burundische und zairische Flüchtlinge mit Fischerbooten von Burundi aus den See Tanganyika überquert haben. Die meisten sind inzwischen in der tansanischen Hafenstadt Kigoma eingetroffen und werden dort zunächst einmal mit Keksen versorgt. Nach Meldungen eines UN-Sprechers befinden sich die Menschen aber weitestgehend in einer guten Verfassung.

Dennoch bereiten sich sämtliche humanitären Verbände in der Region Ginseyi fieberhaft auf die mögliche Ankunft der über eine Million Flüchtlinge aus Ostzaire in Ruanda vor. „Eine Sitzung jagt die andere, um die Logistik zu schaffen“, so Nebe. Ein weiteres Transitcamp ist im Aufbau. Mehrere Mitarbeiter stehen auf Abruf bereit. Sogenannte Way-Stations sollen bei Bedarf an den Hauptstraßen etwa alle zehn Kilometer eingerichtet werden, um die erschöpften Menschen notdürftig zu versorgen. Denn die größte Sorge der Helfer ist ein unkontrollierte Massenflucht. „Wir können die Situation nur dann überschauen, wenn rund 10.000 bis 15.000 Menschen pro Tag über die Grenzen kommen. Ansonsten haben wir dieselbe Situation wie vor zwei Jahren“, fürchtet Wilkinson. Und es müßten mehrere Korridore zwischen Goma und Bujumbura geschaffen werden. Das UNHCR sei auch nicht dafür, erneut Lager in Zaire aufzubauen.

Wann und ob das überhaupt ohne militärische Intervention möglich ist, bleibt nach wie vor umstritten. Die Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen vor Ort halten sie nicht für nötig. „Es gibt nach unseren Informationen schon eine von den Tutsi-Rebellen befriedete Zone zwischen den Fronten, durch den die Flüchtlinge nach Ruanda gelangen könnten“, sagt Nebe.

Ein militärisches Eingreifen hält Edzard Nebe deswegen nur in einem ganz kleinen und begrenzten Rahmen für sinnvoll. „Einzig und allein, um die bis an die Zähne bewaffneten Hutu-Milizen in Schach zu halten.“

Und das ist nicht einfach. Die Kämpfe um Goma zwischen Tutsi- Rebellen und Hutu-Milizen haben sich in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder verstärkt. Im Mittelpunkt steht das Flüchtlingscamp Mugunga.

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