: Wohltäter bomben um Privilegien
Am Sonntag wurden in Moskau elf Menschen Opfer eines Anschlags. Dahinter steckt die Rivalität zweier Fonds für Afghanistan-Veteranen. Sie streiten um Immobilien und Geld ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Leichenteile, Kleiderreste und persönliche Habseligkeiten hängen in Baumkronen und sind über Hunderte Quadratmeter verstreut. Ort des Grauens: der Kotljakowskoje-Friedhof im Süden der russischen Hauptstadt. Sonntag vormittag hatten sich über hundert Besucher eingefunden, die dem toten Michail Lichodej ihre Ehre erweisen wollten. Nach knapp einer Stunde detonierte unter einer Steinplatte, die den Gästen als Tisch für Speis und Trank diente, eine durch Fernzündung gesteuerte Bombe. Mindestens elf Menschen wurden getötet und mehrere Dutzend schwer verletzt.
Michail Lichodej war kein Unbekannter. Bis zum 10. November 1994 hatte er den Russischen Fonds der Afghanistan-Veteranen geleitet. Der Afghanistan-Fonds wurde im November 1991 gegründet und sollte sich um das psychische und leibliche Wohl der Veteranen und Invaliden des unsinnigen kommunistischen Kriegsabenteuers kümmern.
Der Wohltätigkeitsverein erhielt vom Staat das Recht, eigene Firmen und Unternehmen zu gründen, die sich vornehmlich darauf konzentrierten, Waren zu importieren, die schnellen Umsatz versprachen. Hauptsächlich Zigaretten, Alkohol und Lebensmittel. Das afghanische Imperium wuchs unaufhörlich, die Gewinne nahmen astronomische Höhen an, nachdem der Staat den Fonds auch noch von allen Steuern, Abgaben und Zollgebühren befreit hatte.
Im Somer 1993 wurde der erste Vorsitzende des Fonds, Waleri Radtschikow, von seinem Posten entbunden. Wie in solchen Fällen üblich, legte man ihm Unregelmäßigkeiten im Finanzgebaren zur Last. Zum neuen Vorsitzenden wählte der Charity-Fund Michail Lichodej, der das Statut änderte und eine Neuregistrierung des Verbandes beim Justizministerium beantragte.
Das Schisma war vollzogen. Von nun an gab es zwei Afghanistanfonds mit gleichlautendem Namen, aber unterschiedlichen Bankkonten. Am Tag der engültigen Eintragung ins Vereinsregister flog Lichodej mit seinem Anwalt in die Luft... Radtschikow konnte nichts nachgewiesen werden. Statt dessen nahm sich die Steuerfahndung der Sache an und wurde selbstverständlich fündig.
Neben zahlreichen Gesetzesverletzungen stellte sie fest, was jeder ohnehin zu wissen glaubte. Der Löwenteil des eingefahrenen Gewinns war nicht den einfachen Mitgliedern des Verbandes zugute gekommen, sondern in anderen „kommerziellen Strukturen“ verschwunden. Allein in einem Jahr hatten die „Afghanen“ 200 Millionen US-Dollar Profit erwirtschaftet, wovon lediglich 10 Prozent dem eigentlichen Zweck der Organisation zugeführt wurden.
Nach dem Tod Lichodejs übernahm sein Stellvertreter, Serge Trachirow, die Leitung. Radtschikow und Trachirow fochten ihre Schlachten vor Moskauer Gerichten weiter, mit wechselndem Geschick. Im Oktober letzten Jahres streckten Meuchler Radtschikow mit einem Dutzend Pistolenschüssen nieder. Er überlebte wie durch ein Wunder, sein Rechtsberater mußte dran glauben.
Am Sonntag starb Trachirow beim jüngsten Bombenanschlag. Dessenungeachtet behaupten beide Filialen der Internationalisten, mit den gegenseitigen Attentaten nichts zu tun zu haben. Mittlerweile haben beide Organisationen ihre fiskalische Sonderstellung eingebüßt, auch sie werden seit kurzem theoretisch zur Kasse gebeten. Dennoch hat sich ein gigantisches Vermögen angesammelt, um das jetzt herumgebombt wird: Immobilien und Bankkonten, letztere längst ins Ausland transferiert, voraussichtlich in eine weniger karge Bergwelt.
Die Frage, wer hinter den Anschlägen sonst stecken könnte, regt anscheinend nur die Phantasie der Zuschauer an. Die staatlichen Stellen, die am Tag des Geschehens sofort strengste Ermittlungen ankündigten, sind noch in keinem einzigen Fall, wo es um Mord und Geld ging, zu Ergebnissen gekommen.
Unterdessen machen sich Gerüchte breit, eine Moskauer Mafiasektion als dritte Kraft habe ihre Finger mit im Spiel. So räumte Afghanistan-Funktionär Franz Klinzewitsch freimütig ein, die Mafia habe von Anfang an mitgemischt, um in den Vorzug der Privilegien zu gelangen. In letzter Zeit war auch wiederholt von Waffenhandel und anderen dunklen Machenschaften im Umkreis der Wohltäter die Rede. Es werden wohl Mutmaßungen bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen