: Kulturelle Mission, absolut impossible Von Susanne Fischer
Reisen ist mir ein lieber Vorwand zum Sahntortenessen und zum Starren in fremde Wohnzimmerfenster. Als ich aber jüngst mit der Kollegin Frau Müller in Süddeutschland unterwegs war, fiel im Café sofort der Sahneautomat aus. Außerdem ließen die Schwaben feindselig ihre Rolläden herunter, sobald ich bloß in die Nähe ihrer Häuser spazierte. Es gibt Landstriche, die man nur im Dunkeln betreten sollte.
Jeder Ort, den wir erreichten (und sei es nur zum Umsteigen), begrüßte uns mit eimerweise Regen. Ich grüßte zurück. Im zehnten Café steckte mir Frau Müller endlich, daß man auch in Schwaben nicht „Ach Gott“ sagt, wenn man ein Lokal betritt, aber Leute, deren Sahneautomat ausfällt, grüßten den Herrn bestimmt sowieso nicht, denn es ruht kein Segen auf ihrem Gewerbe. Außerdem sind sie viel zu sehr damit beschäftigt, einem mit ihren Prachtautos über die Füße zu rollen. Wenn der Schwabe nicht in seinem Auto fährt, sitzt er in demselben vor seinem Häusle und blickt von außen auf die geschlossenen Rolläden. Ein merkwürdiger Menschenschlag.
Wir bemühten uns, mehrere dieser sonderbaren Leute auf der Straße zu verhaften, um ein buntes Publikum für unsere gemeinsame Lesung zusammenzustellen, aber sie hatten alle keine Zeit, weil sie die Straße vor ihren Häusern fegen mußten, obwohl sie die ja dann durch ihre Rolläden gar nicht sehen konnten. Frau Müller und ich lasen uns schließlich gegenseitig unsere lustigsten Geschichten vor, wobei ich Frau Müllers Geschichten auswendig mit falscher Betonung mitsprach, während sie mich bei meinen pausenlos verbesserte. Es ist schön, eine gute Freundin zu haben, wenn ich auch gerade vergessen habe, wieso.
Am Ende nickten wir auf der Bühne ein, denn wir sollten nach der Lesung von einem Bekannten abgeholt werden, der nicht kam, aber dann gingen wir mit einem freundlichen Kellner, der so ähnlich aussah, in ein freundliches Lokal. Dort tanzte Frau Müller Charleston, obwohl sie morgens noch vor lauter Hexenschuß kaum ihr Frühstücksei auslöffeln konnte und ich deswegen den ganzen Tag ihren Rucksack schleppen mußte, auf dem „Ich bin zwei Öltanks“ steht. Im Sack befanden sich ein Schminktäschchen, mehrere leichte Seidenblusen und 227 Wackersteine. Da das Nachtmahl in dem freundlichen Lokal erst für zirka drei Uhr morgens angesetzt war, erlernten wir mit Hilfe von mehreren Litern Wein die schwäbische Sprache.
Während ich um etwa vier Uhr mogens darüber nachdachte, warum uns statt Grappa Espresso serviert wurde, ob also gar schon Frühstückszeit sei, boxte Frau Müller mich vor Erregung von der Bank und brüllte: „Der Grabba isch im Kaffee!“ Der Notarzt verband meine Verletzungen ordnungsgemäß, allerdings erst, nachdem Frau Müller sich für mehrere „Charleston, äh, Hexscheschwipsch-Schpritschen“ vorgedrängelt hatte. Beim Frühstücksinterview fragte uns der Reporter, der aussah wie der Kellner: „Was darf Satire? Was meinen Sie?“ „Hauptsache, ich darf alles!“ blökte ich und schüttete meinen Kaffee über seine Hose. „Nein, ich!“ rief Frau Müller, während sie ihr Gepäck auf seinem Fuß parkte. Und ihr Rucksack sah aus wie unser Bekannter, der nicht gekommen war.
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