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Festes Schuhwerk

„Fargo“, heiteres Gruselkino von den Brüdern Joel und Ethan Coen, spielt in Brainerd, Minnesota, wo der Schnee am tiefsten ist  ■ Von Andreas Becker

In kleineren Orten von Minnesota ist man im Winter schon mal zwei, drei Tage von der Außenwelt abgeschnitten und ernährt sich derweil aus dem Viertkühlschrank. Die Menschen hier heißen und wirken ein bißchen wie Skandinavier: wortkarg, herzlich und ein wenig doof. Man unterschätzt sie leicht. Normalerweise dürfte es in dieser Gegend recht langweilig sein. Wenn die Brüder Joel und Ethan Coen hier aber einen Winter-Thriller ansiedeln, ist für Farbe im Schnee und makabre Dinge aller Art gesorgt.

Ernste Probleme, die die Sache verteuern

In Brainerd (!), dessen Besucher von einer mehrere Mann hohen Arbeiterstatue im Karohemd willkommen geheißen werden, heckt der Gebrauchtwagenverkäufer Jerry Lundegaard einen scheinbar genialen Plan aus.

Während er seinen Kunden versucht, einen Unterbodenschutz aufzuschwatzen, den diese trotz der salzigen Highways partout nicht wollen, telefoniert Jerry mit den Entführern seiner Frau. Es habe da ein paar Probleme gegeben. Probleme? Ja, ernste Probleme, die die Sache verteuern werden ...

Jerry hatte zwei angebliche Profigauner überredet, seine Frau zu verschleppen. Das Lösegeld will er von seinem steinreichen Schwiegervater kassieren und sich später mit den Gangstern teilen. Mit denen hatte er sich bei seinem letzten Treffen und der Übergabe eines Fahrzeugs aus seinem ausgedehnten Gebrauchtwagenlager ausgiebig darüber gestritten, ob man um halb acht oder halb neun verabredet war. Die Kidnapper stellen sich in Wahrheit so professionell an, daß ihnen Jerrys Frau fast schon in ihrem eigenen Heim flöten geht: Erst verfängt sie sich im Duschvorhang – hinter dem in einem ordentlichen Thriller ein Mädchen bereits sein Ende gefunden hätte – und rutscht in der Badewanne aus, dann kullert sie kopfüber die Treppe runter. Draußen im Schnee stülpen Carl (Steve Buscemi) und sein Kidnapperkollege Gær Grimsrud dem verletzten Opfer etwas irritiert lachend einen Sack über den Kopf und verfrachten sie in ihren Wagen. Dummerweise hat Carl vergessen, die Nummernschilder zu überprüfen.

Diese Dusseligkeit läßt sie in eine Routinekontrolle der örtlichen Polizei geraten. Während Carl noch meint, den harmlosen Streifenpolypen wortschwallartig milde stimmen zu können, zieht sein stiller, aber um so nervöserer Kumpel die Knarre. Als man gerade versucht, den Toten von der Straße zu schleifen, kommt ein Auto mit zwei Insassen vorbei. Dessen Fahrer ist so dumm, zu wenden. So nimmt das Ungeschick seinen Lauf, und der jungfräuliche Schnee von Minnesota bekommt die ersten drei großen roten Flecken.

Am nächsten Morgen finden die schwangere Polizeichefin Marge (Frances MacDormand) und ein Kollege die Leichen. Eingemummelt in warme Kapuzenjacken stehen sie mit dampfenden Kaffeebechern neben ihrem Streifenwagen. So richtig entsetzt wirken sie nicht, man unterhält sich übers Wetter, Marges Kollege sieht sich die Opfer lieber nur von der Straße aus an, er hat nicht das richtige Schuhwerk für tiefen Schnee dabei.

Manche Kritiker warfen den Coen-Brothers und ihrem Film „Fargo“ vor, die Menschen und speziell die Bewohner des 11.000-Seen-Staats Minnesota verspotten zu wollen. Und der wirkliche Polizeichef von Brainerd wird nicht müde, in Interviews zu betonen, daß es eine so blutige Entführung wie die in „Fargo“ dargestellte in Minnesota – zumindest so! so nicht!! – nie gab.

Wollen wissen, wie die Bohnen aussehen

Natürlich nicht. „Fargo“ ist detailbesessen und präzise, aber lahmarschig wie eine Eieruhr, die nicht klingeln will, die dann aber doch klingelt und uns zu Tode erschreckt. Ganz wie du und ich stolpert der (grandios von William H. Macy gespielte) Autohändler in sein Unglück. Marge, die so gar nichts von einer mörderjagenden Hardcorepolizistin hat, stapft durch den Schnee, und zunächst trauen wir ihr nicht einmal zu, einen Wilddieb zu überführen. Sie aber weiß ganz genau, wo der Schneehase langläuft, was nicht nur einen schüchternen Japaner zur Strecke bringt, der sich mit Marge zum fabelhaft scheiternden Rendezvous trifft. Die Coens wollen wissen, wie die Bohnen aussehen, die Marge zu Mittag ißt, was ihr Mann für die Briefmarke bekommen hat, die er vor einiger Zeit erfand, und was man in Minnesota unter Höflichkeit versteht. Die Dinge sollen eben stimmen. So laufen die Motoren der Autos von Toten noch, als sie Stunden später entdeckt werden. Ein Detail, das jeder andere Film unterschlägt.

Die Verbrecher von Brainerd, das manchmal an David Lynchs „Twin Peaks“ erinnert, aber nichts von dessen Künstlichkeit hat, sind wie du und ich: Als Carl auf einem fast leeren Shopping-Mall- Parkplatz rumkurvt, um ein Nummernschild zu klauen, will der Mann an der Ausfahrtskasse vier Dollar fürs Parken. „Ich habe doch aber gar nicht geparkt“, regt sich Carl verständlicherweise auf und will nicht zahlen. „Du wirst dein ganzes verdammtes Leben an dieser Kasse zubringen“, ruft er ihm noch nach. Der nächste Parkwächter kommt schlechter weg. Der Schnee von Minnesota bekommt noch so manchen Fleck ab, und wie sich das Böse im Vampirfilm über die ganze Erde verbreitet, werden die Teile eines der Beteiligten kurz vor Schluß durch eine Häckselmaschine geschoben und durchtränken den Schnee im weiten Umkreis mit einem satten Rot. Aber keine Angst, „Fargo“ endet mit einem netten Frühstück im Bett.

„Fargo“. Regie und Drehbuch: Joel Coen. Drehbuch, Produktion, Schnitt: Ethan Coen. Mit Frances MacDormand, William H. Macy, Peter Stormare. USA 1996, 97 Min.

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