: Kleine Sehnsucht
■ Schmidt: Ernie Reinhardts neues Stück „Wahre Lügen“
„Willkommen in meinem Leben“ – mit diesem Satz eröffnete Ernie Reinhardt am Donnerstag im Schmidt die Premiere seines neuen Solostücks. Wahre Lügen heißt das ambitionierte Vorhaben der großen Diva vom Spielbudenplatz. Hier soll die Wahrheit, die im Schlagertext steckt, auf die Wahrheit in dem Text treffen, den das Leben schrieb – Rückschau mit Vierzig auf ein bewegtes Künstlerdasein.
Auftritt Ernie Reinhardt mit langem, offenem Haar und im Fummel – das ist nicht Lilo Wanders, das TV-erprobte Schlachtroß, das ist er selbst, der da Platz nimmt auf dem unvermeidlichen Sofa. Und doch bleibt das Biographische, das er zwischen den Songs ausbreitet, für die Zuschauer schwer zu fassen: Er ist es, und er ist es nicht.
Denn der Künstler verläßt sich zu sehr auf seine hervorragende musikalische Combo sowie die Schwindelsingers Kerstin Mäkelburg und Karin Kasar. Sie sorgen bei den Schlagernummern für volle Präsenz. Die Moderationen wirken dagegen wenig inszeniert und bleiben daher blaß. Sekt, Sofa und Zigarette, das Handwerkszeug der deutschen Diva, kann das dem eigenen Anspruch genügen?
Manchmal blitzen sie auf, die Herzens-Momente des Gefühls, wegen derer Ernie Reinhardt von seinem Publikum geliebt wird. Wenn er im Fellmonster-Mantel mit Pudelmütze und drunter fast nichts vor den Zuschauern kniet und „Ich bin stark“ singt: Da spielt er die erzählte Geschichte weiter, wie er voller Glück nach seinem ersten bedeutenden Auftritt in einer Provinzdisco mit dem Auto von der Straße abkommt und in einem Misthaufen landet. So rührt er sein Publikum, wenn auch nicht zu Tränen.
„Star-sein heißt Da-sein“, sagt er über die Promi-Partys im Showgeschäft. Mehr als Da-sein würde heißen: sich selbst reflektieren, sich nicht einfach auf die tausendfach erprobte Wirkung verlassen. Kein leichtes Unternehmen, zumal, wenn der Schauspieler sein eigener Regisseur ist und Bühnenbild und Licht wenig zur Intimität beitragen, die dieses Programm braucht. So liegt das Besondere weniger in der Auseinandersetzung mit Schlagerwahrheit und Lebenslüge, sondern in Musik und Gesang. Das Publikum war zufrieden, doch eine kleine Sehnsucht bleibt: die nach dem wahren Ernie, ohne Sekt und Sofa.
Ulrich Paasch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen