: Schwarze-Peter-Verschieben
■ Das 2. Architekturgespräch versprach die ideale Stadt
Es scheint, es gibt ein Problem, aber da alle daran Beteiligten im Raum versammelt sitzen, will niemand die Ursachen benennen. Das Problem heißt Wohnungsbau, Nutzungsmischung und innere Verdichtung in Hamburg, kurz: Verfehlte Wohnungspolitik. Die Beteiligten sind Architekten und Bauherren, Behördenvertreter und Politiker, die sich zum 2. Hamburger Architekturgespräch in der Freien Akademie der Künste mit interessiertem Publikum trafen.
Als Referenten eingeladen waren zum einen der Münchner Architekt Otto Steidle, der nach dem Gruner + Jahr-Neubau nun einen gemischten Komplex mit halb Wohnen halb Gewerbe an der Gerstäcker Straße zwischen Michel und Deutschem Ring entworfen hat. 140 Wohneinheiten und 13.000 qm Bürofläche, geprägt von Steidles Vorliebe für Brücken an der Fassade, werden in den nächsten Jahren die kriegsbedingte Lücke zwischen Zeughausmarkt und Englische Planke schließen. Zum anderen sprach die Hamburger Architektin Mirjana Markovic, deren Büro eines von vielleicht fünf gelungenen Wohnungsneubauten der letzten Jahre in Hamburg an der Lippmannstraße umsetzen konnte.
Im Anschluß an die Referate begann dann über die Frage, warum die architektonische und städtebauliche Qualität des Hamburger Wohnungsneubaus so unterirdisch ist, das Schwarze-Peter-Verschieben. Dabei blieb die vom Podium mehrfach gestellte Frage nach den politischen Ursachen trotz Anwesenheit des Stadtentwicklungssenators Mirow unbeantwortet. Der Bauherr des Gerstäcker Komplexes von Stemm von der Hanseatica etwa erklärte, er verstehe das Problem überhaupt nicht, weil sie andauernd nutzungsgemischte Projekte verwirklichen. Markovic schimpfte auf Luruper Lokalpolitiker, die einen fertigen Plan zur inneren Verdichtung auf Druck der örtlichen Bürgerinitiativen gestoppt hätten. Und der neue Wohnungsbaubeauftragte Braune macht die Angst vor Veränderung bei der Bevölkerung für den schwierigen Prozeß verantwortlich, in den er sich intensiv vermittelnd einmischen würde.
Und so ging es fort, bis dem Moderator, Spiegel-Redakteur Michael Mönninger, der Kragen platzte. Als Hamburgs oberster Stadtentwicklungsbeamter Egbert Kossak sich an das Mikrophon stellte und so sprach, als sei er „das Opfer und nicht der Täter dieser Politik“ (Mönninger), fühlte sich Mönninger an das Habsburger Kaiserreich erinnert, wo sich bis zum Kaiser hoch nie jemand finden lasse, der für irgendwas verantwortlich sei.
Nimmt man aber nur spaßeshalber einmal alle Beiträge beim Wort, dann war sich die In-Group zumindest in der Zielsetzung über folgendes einig: alle Versammelten streben eine innen verdichtete, nutzungsgemischte Stadt mit einer hochqualitätvollen Architektur auf extrem flexiblen Grundrissen an. Dies wäre dann genau die Stadt, die wir uns wünschen. Allein: Wir glauben noch nicht recht daran.
Till Briegleb
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