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Servus oder Auf Wiedersehn?

■ Musikhalle: Svjatoslav Richter verschenkte wieder einmal Bewegendes

Es lag Wehmut über diesem Sonntagmorgen in der Musikhalle. Der alte große Mann am Klavier da vorne ist gerade achtzig geworden. Man weiß nicht, ob dies sein Abschiedskonzert ist in Hamburg. Wann immer Svjatoslav Richter da war, waren es bewegende Stunden. Er hat Generationen von Klassikhörern erstmals eröffnet, was das heißen kann: eine Sonate von Schubert, Schumann oder Beethoven. Am Sonntag trug er zur weiteren Entdeckung eines noch immer weithin Unbekannten bei: Richter spielte Haydn, von dem man vielleicht einige Londoner Sinfionien kennt, dazu noch die Schöpfung; dessen Klavierschaffen aber bis heute im toten Winkel des Abonnements liegt.

Bis heute auch wird Haydn – schlecht spätromantisch – entweder „noch“ wie Mozart oder „schon“ wie Beethoven interpretiert. Richter spielte Haydn wie Haydn, die ersten drei Stücke (Nr. 41, 42, 47) deutlich vom Barock her kommend, trocken zügig, klar artikuliert; wozu man wissen kann, daß Richters Bachspiel seinerseits ein wenig romantischer angelegt ist als etwa das Glen Goulds.

Nach der Pause antizipiert das zweisätzige D-Dur-Stück Nr. 51 romantische Haltungen auf seine Weise, mit einem stabil gefühligen Gesangsthema im ersten, langen Läufen von Terzen- und Sextenparallelen im zweiten Satz. Das Glanzstück, die Es-Dur-Sonate, ließ Richter virtuos blitzen in listiger Dialogik am Beginn, Klangfarbenwechseln, heiteren Umschlägen und Kontrasten im Verlauf. In der Durchführung des Adagio, wo sich die Musik aus der Umklammerung düster händelscher Punktierung löst, inszenierte der alte Meister finsterspannendes Welttheater. Im witzigen, bravourösen Finale Presto, das Richter einem ergriffen begeisterten Publikum schließlich als Zugabe wiederholte, ließ er die Finger noch einmal rasen, achtzig, und kaum müde. Bescheiden legte er die Hand aufs Herz vorm stehend applaudierenden Publikum. Auf Wiedersehen!

Stefan Siegert

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