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Ein wahrer Verbündeter des Reiches

Germany calling! Der Schriftsteller Francis Stuart, 94, wurde in Irland von der Präsidentin zum Stammesweisen gekürt, obwohl es gewisse Bedenken hinsichtlich seines politischen Engagements während des Krieges gibt  ■ Von Ralf Sotscheck

Er wirkt immer noch sehr groß, als er ein wenig gebeugt und auf einen Stock gestützt ins Zimmer kommt. Er setzt sich ganz langsam auf die niedrige Couch, über der mehrere Ölporträts hängen, die seine dritte Frau, Finola Graham, von ihm gemalt hat: Francis Stuart, 94, irischer Dichter und Schriftsteller. Er fährt sich durch die dichten, weißen Haare, öffnet dann eine Holzschatulle und nimmt einen gewundenen Kranz aus goldbeschichtetem Silber heraus, der unten offen ist – den „Torc“, die Nachbildung eines Schmuckstücks aus der späten Bronzezeit um 1000 vor Christus, das bei Ausgrabungen in der Nähe von Belfast gefunden worden ist.

Am Vormittag hat die irische Präsidentin Mary Robinson ihm den Torc um den Hals gelegt und ihn zum „Saoi von Áosdana“ ernannt. Es ist die höchste Auszeichnung, die Irland an seine Schriftsteller zu vergeben hat. Stuart gehört nun zu den „Stammesweisen“, von denen es nie mehr als fünf gleichzeitig gibt. Allerdings geht die Auszeichnung keineswegs auf die Frühgeschichte zurück, wie der „Torc“ vermuten läßt, sondern sie ist erst in den achtziger Jahren eingeführt worden. Zu den ersten Würdenträgern zählte Samuel Beckett.

Die Biographien von Beckett und Stuart weisen einige Berührungspunkte auf, bewegen sich dann jedoch in verschiedene Richtungen: Beckett ist in Paris, als der Zweite Weltkrieg beginnt, und schließt sich der Resistance an.

Stuart, 1902 als Sohn irischer Emigranten in Australien geboren und im Alter von einem Jahr nach Irland gekommen, macht 1939 eine Lesereise durch das faschistische Deutschland, als ihm eine Dozentenstelle in Berlin angeboten wird. In Berlin trifft er einen anderen Iren: William Joyce, der für die Nazis Propagandasendungen macht, die nach England ausgestrahlt werden. Sie beginnen mit den Worten: „Germany calling!“ Die schnarrende Stimme bringt ihm in England den Spitznamen „Lord Haw-Haw“ ein. Nach dem Krieg wird Joyce in England hingerichtet.

„Ich wurde gefragt, ob ich Reden für ihn schreiben würde“, erzählt Stuart, „und ich sagte zu. Im Gegensatz zu ihm war ich nie antisemitisch, sondern ich sah es als Chance, eine Stimme nach Irland zu senden, die einen anderen Aspekt vermittelte. Irland wurde damals von pro-alliierter Propaganda aus Amerika und aus England überflutet.“ Schon bald hat Stuart eine eigene Radiosendung, doch sie wird schon bald nur noch unregelmäßig gesendet, weil seine Texte zu zahm sind. Stuart bezieht sich in seinen Ansprachen nie auf militärische Ereignisse oder begrüßt den deutschen Vormarsch. „Aber ich bezog mich auf die Heuchelei, die Scheinheiligkeit der Alliierten, und insbesondere der Briten, die in ihrer Geschichte, wie gerade wir Iren nur zu genau wissen, so viele kleine und schwache Nationen erobert und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben“, sagt Stuart und fügt hinzu: „Für mich waren die Russen die einzige kriegführende Nation, vor der irgend jemand Respekt haben konnte, weil sie keine Zivilisten bombardiert haben.“

Stuart lernt in Berlin den Widerstandskämpfer Harro Schulze- Boysen kennen, der für die „Rote Kapelle“ arbeitet. Stuart erfährt das jedoch erst nach dessen Verhaftung, weil die Gestapo seinen Namen in Schulze-Boysens Adreßbuch findet. „Die Gestapo kam zur Pension und fragte die Wirtin über mich aus“, sagt Stuart. „Sie sagte, daß ich ein irischer Neutraler sei und Protektion von hohen Stellen hatte, was ja auch stimmte.“

Wegen Stuarts kantiger Biographie ist seine Ernennung zum „Saoi“ in Irland auf Kritik gestoßen. Er sei nicht in der Stunde der Niederlage nach Deutschland gegangen, sondern in der Stunde des Sieges, moniert der Journalist Kevin Myers und fragt: „Hätte Deutschland ganz Europa erobert, wie es während des Großteils seines Aufenthalts in Berlin wahrscheinlich schien, wäre er dann nicht als wahrer Verbündeter des Dritten Reiches gefeiert worden?“

Der Journalist und Historiker Robert Fisk, der ein Standardwerk über Irlands Neutralität im Zweiten Weltkrieg geschrieben hat, widerspricht Myers: „Ich habe die Transskripte von Stuarts Radiosendungen, die 1942 begannen, gelesen. Er sagte weder, daß Hitler ein großartiger Kerl sei, noch hat er jemals die Verfolgung der Juden gutgeheißen. Wenn man allerdings für einen Nazisender arbeitet, wird man leicht mit dem System assoziiert. Er erzählte mir, daß er die Deutschen haßte, solange sie obenauf waren. Ihre Niederlage setzte in ihm jedoch Emotionen frei.“

Ganz so weiß ist Stuarts Weste freilich nicht. Er sei „voller Enthusiasmus“ für Hitler, sagt er in einer seiner Sendungen. „Hier ist endlich jemand, der die Weitsicht und den Mut hat, den Finanziers, Politikern und Bankiers das Recht auf Herrschaft abzusprechen“, heißt es in derselben Sendung, und jeder weiß, daß die Juden gemeint sind. „Es scheint mir doch besser, von jemandem beherrscht zu werden, dem das Wohl seines Volkes zweifellos am Herzen liegt, als von einer Bande, die lediglich am Weltmarktpreis ihrer Waren interessiert ist.“ In seinem Meisterwerk „Black List, Section H“, das bedauerlicherweise noch immer nicht ins Deutsche übertragen worden ist, gibt Stuarts Alter ego denn auch zu, er sei „nicht sicher, daß er nicht mit der Pest des Nazismus infiziert“ sei.

Das Kriegsende erlebt Stuart mit seiner Freundin Gertrude Meissner, seiner ehemaligen Studentin, die er 1954 nach dem Tod seiner ersten Frau Iseult Gonne heiratet, in Lindau am Bodensee. Dort hatte sich die irische Botschaft provisorisch eingerichtet, nachdem das Botschaftsgebäude in Berlin zerbombt worden war. Stuart und Gertrud geraten in französische Gefangenschaft. „Ein hochgestellter Offizier vom französischen Geheimdienst war sehr interessiert an der IRA“, sagt Stuart. „Ich konnte ihm viel über die IRA erzählen.“

Mit 17 hatte der in nordirischen Unionistenkreisen aufgewachsene Stuart in Dublin Iseult, die Tochter der Freiheitskämpferin Maud Gonne, kennengelernt. „Die Hochzeit fand im Mai 1920 statt“, sagt Stuart. „Das war kurz vor meinem 18. Geburtstag, Iseult war damals so um die 25. Als meine beiden Onkel hörten, daß ich in diese Nationalistenfamilie einheiraten wollte, waren sie entsetzt. Sie erzählten Maud Gonne vom Selbstmord meines Vaters und daß ich seine sehr unausgeglichene Psyche geerbt hätte und keinen guten Ehemann abgeben würde.“ Die beiden heiraten dennoch.

Irlands erster Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats bezeichnete Stuart als „einen der größten neuen Namen“ in der irischen Dichtung, beschrieb ihn in einem Gedicht jedoch auch als „Dummkopf“. Das hat aber eher private Gründe: Yeats wurde zunächst von Maud Gonne, für die er zahlreiche Gedichte verfaßt hatte, und dann von Iseult zurückgewiesen. „Yeats konnte keine Liebesgedichte schreiben“, sagt Stuart, „welche Frau möchte schon Liebesgedichte bekommen, die so anfangen: ,Geh vorsichtig, denn du gehst auf meinen Träumen.‘ Das ist doch Schrott.“

Durch Iseults Bruder Sean McBride, der später amnesty international gründete und den Friedensnobelpreis erhielt, kam Stuart in Kontakt mit der IRA. „Ich war mit Sean, der in der IRA-Hierarchie sehr hoch stand, damals befreundet“, sagt Stuart.

Während des irischen Bürgerkrieges 1922, der nach der Teilung der Insel ausgebrochen ist, hilft er im Lazarett für verwundete Republikaner, das seine Schwiegermutter in ihrem Haus am Dubliner Stephen's Green eingerichtet hat. Einer der verwundeten IRA-Kämpfer bittet Stuart, Waffen von einem Lieferanten in Brüssel abzuholen und nach Irland zu schmuggeln. Für seinen Einsatz auf republikanischer Seite wird Stuart später ein Jahr interniert. Danach zieht er sich aufs Land zurück, beginnt sich für Rennpferde zu interessieren und arbeitet als Hühnerzüchter. Das Schreiben vernachlässigt er in dieser Zeit jedoch nicht.

Stuart hat 16 Romane, zwei Stücke, zwei Gedichtsammlungen und eine Prosasammlung herausgebracht. Seine Erfahrungen in Deutschland erschienen 1948 unter dem Titel „The Pillar of Cloud“ – zu deutsch: „Die Wolkensäule.“ Als er 1958 nach Irland zurückkehrt ist, hatte er große Schwierigkeiten, einen Verleger zu finden. Erst 1972 erscheint wieder ein Buch von ihm: „Black List, Section H.“

Über seine Ernennung zum „Saoi“ – und vor allem über das damit verbundene Jahressalär von umgerechnet rund 20.000 Mark – freut er sich: „Ich fühle mich geehrt, und was man bei solch einer Gelegenheit sonst noch so sagt.“ Aber dann schränkt er ein: „Ich bin ein Mann der Tat und hätte diese Auszeichnung lieber in der Schlacht von Clontaf erworben, und nicht am Schreibtisch.“ In jener Schlacht besiegte der irische Hochkönig Brian Boru die Wikinger. Das war am 23. April 1014.

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