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Zuviel Schmäh

Mit deftigen Schlagzeilen sorgte der ehemalige „Bild“-Chef Peter Bartels beim Wiener Boulevardblatt „täglich Alles“ für seinen Rausschmiß  ■ Von Oliver Gehrs

„Job weg! Wohnung futsch! Jetzt muß Piefke-Peter zurück nach Deutschland“, titelte das Wiener Stadtmagazin Falter in schönster Boulevardmanier, und auch der Rest der österreichischen Presse vermochte seine Freude über den Rausschmiß des deutschen Chefredakteurs Peter Bartels (53) beim Billigblatt täglich Alles kaum zu verhehlen. Dabei hatte Verleger Kurt Falk den ehemaligen Bild- und Super-Chef erst im März nach Wien geholt, um die Auflage seiner Boulevardzeitung auf 300.000 Exemplare zu steigern.

Ein Blattmacher wie der „Tango“-Tiedje

Für 500.000 Schilling (etwa 70.000 Mark) im Monat übernahm Bartels den Part des „Blattmachers“, wie es offiziell hieß – vielleicht weil Chefredakteur zu seriös klang. Blattmacher, das klingt schon eher nach offenem Krawattenknoten und dem Rauch teurer Zigarren. Nach einem wie dem Tango- Tiedje, der vor Bartels bei täglich Alles war, den Job aber nach sechs Wochen wieder hinschmiß.

Am Reformationstag war nun auch für den Protestanten Bartels Schluß: Nachdem es zwischen ihm und dem Herausgeber schon häufiger zu lautstarken Auseinandersetzungen gekommen war, brachten zwei weitere skandalöse Schlagzeilen das Faß zum überlaufen: Zuerst hatte täglich Alles den halben ORF des Kokainmißbrauchs bezichtigt und anschließend in großen Lettern über die Krankheit des Bundespräsidenten spekuliert: „Furchtbarer Verdacht: AIDS – Kommt er nie wieder zurück?“, titelte Bartels scheinheilig, als längst klar war, daß Thomas Klestil an einer schweren Lungeninfektion erkrankt war. Das war den obrigkeitspusseligen Österreichern dann doch zuviel des Schmähs.

Zwar verzichtete der Bundespräsident auf eine Klage, zur Schadensbegrenzung aber mußte der sparsame Falk wohl oder übel eine Million Schilling für karitative Zwecke spenden. Zudem druckte er nach einer Verurteilung durch den Presserat einen Widerruf auf der Titelseite. (Freilich auch diesmal nicht ohne kaufmännischen Hintergedanken: Direkt neben der Richtigstellung sorgte ein Faksimile des negativen Test-Ergebnisses für Aufsehen und Auflage.) Ironie der Geschichte: An einer eigens anberaumten TV-Diskussion über die skandalöse Schlagzeile konnte Chefredakteur Bartels leider nicht teilnehmen. Er lag mit 39 Fieber im Bett.

Nun fragen sich nicht nur die Wiener Theaterfreunde, ob diese Schmierenkomödie womöglich schon das Ende der bunten Boulevardzeitung ist, die in weniger als fünf Jahren bereits mehrere Redaktionsgarnituren verschliß und die Verleger Falk bereits mehrere Milliarden Schilling gekostet haben dürfte. Denn trotz all dieser Investitionen hat sie die Vormachtstellung der Neuen Kronen Zeitung, an der neben Verleger Hans Dichand auch die Essener WAZ- Gruppe beteiligt ist, nicht anfechten können. Die ist mit einer Reichweite von über 40 Prozent, gemessen an der Einwohnerzahl von acht Millionen, die erfolgreichste Tageszeitung der Welt. 2,7 Millionen Leser (täglich Alles hat laut MA 95 lediglich 840.000 Leser) delektieren sich jeden Tag an der kleinformatigen Melange aus volkstümelnden Glossen, nackten Mädchen und unverhohlener Haider-Huldigung.

Schon als Falk 1992 antrat, der mächtigen Krone Konkurrenz zu machen, schwante Insidern nichts Gutes: „Eine grauenhafte Schlacht“, befürchtete Franz Ferdinand Wolf, Chefredakteur vom Kurier, schließlich verband Falk und Krone-Verleger Dichand seit Jahren eine herzliche Männerfeindschaft. Gemeinsam hatten sie 1959 die Krone gegründet, sich aber in der Folgezeit über den Kurs der Zeitung zerstritten. Bis schließlich 1987 ein entnervter Falk seinen 43-Prozent-Anteil für 2,2 Milliarden Schilling (etwa 300 Millionen Mark) verkaufte und im Gegenzug vertraglich zusicherte, mehrere Jahre lang keine eigene Zeitung zu gründen.

Bis 1992 die Zeit der Rache kam: Per Inserat suchte Falk auch in Deutschland „Teamführer mit Lust am Wettbewerb und dem Ziel, die Konkurrenz zu schlagen“. Ein Anforderungsprofil, das ziemlich gut zu einer Handvoll Journalisten von Bild und dem ehemaligen Burda-Trash-Tabloid Super paßte. So lag am 5. April 1992 die erste Ausgabe von täglich Alles am Kiosk: Eine eigentümliche Mischung aus „vorproduzierter Spießer- Folklore, Kochrezepten und Zimmerpflanzenkunde“, wie das Magazin profil damals treffend mäkelte. „Die ganze Woche die halbe Wahrheit und das alles täglich.“

Trotz der Häme hatte die neue Boulevardzeitung zunächst einmal Erfolg. Weniger der journalistischen Qualität wegen, sondern vor allem aufgrund des Dumpingpreises von drei Schilling (inzwischen kostet sie fünf) und den beliebten Rätseln, bei denen es mitunter auch schon mal komplette Häuser zu gewinnen gab. Als das Gericht jedoch die auflagensteigernden Glücksspiele verbot (in Österreich sind periodischen Druckerzeugnissen Gewinnspiele jedweder Art untersagt), begann die Auflage wieder zu bröckeln. Gleichzeitig verließen prominente Journalisten das Blatt, weil sie den „Hintertreppenjournalismus“ und Falks autoritären Führungsstil nicht mehr ertragen mochten.

Tatsächlich herrschen im modernen Verlagsgebäude am Stadtrand seit Jahren recht unübliche Arbeitsbedingungen: Falk gilt als schwer zugänglicher Grantler, der über jede erbrachte Zeile persönlich wacht und selbst im Betriebsrat auf Vasallentreue pocht. Das vollmundige Motto „Kritisch gegenüber den Mächtigen“, das auf seiner Zeitung prangt, ist im eigenen Haus das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt steht. Um so tragischer, daß viele der weniger prominenten Autoren gar nicht erst die Wahl haben, ihren Arbeitgeber zu wechseln. „Wer einmal bei täglich Alles war, braucht woanders gar nicht mehr anzukommen“, umreißt ein Wiener Journalist deren Zukunftsaussichten.

Dagegen muß sich einer wie Peter Bartels um seinen Ruf natürlich keine Sorgen machen; hemdsärmelige Workaholics werden in der Branche mit den großen Buchstaben immer gebraucht. Rausschmisse wegen skandalöser Schlagzeilen gelten da eher als Auszeichnung. So gesehen hat Bartels in Wien einiges für die Bewerbungsunterlagen getan, entstanden doch unter seiner Ägide so schaurige Stammeleien wie „Mamma Mia! Die Zebras legen fünf Sch...haufen ins Rapid-Tor“ oder „Die spinnen, die Regierer / Kriegt Klima bei Loch in Brüssel kein Veto mehr.“

Chefredakteur scheißt mitten ins Büro

Selbst bei anderen Blättern sorgte Bartels für handfeste Prosa: „Chefredakteur scheißt mitten ins Büro“, höhnte die Konkurrenz und hatte sogar recht. Dort, wo einstmals der Schreibtisch des Sportredakteurs stand, hatte sich Bartels eine Toilette hinbauen lassen – schließlich befand sich sogar die schrille Privatwohnung des Hobbyjägers mitten im Redaktionsgebäude. Mit einem Antilopengeweih („selbst getötet“) an der Wand, Leopardenfell-bezogenen Sesseln und einer mannshohen österreichischen Fahne auf dem Schreibtisch.

Der ist nun verwaist, denn „Brutalo Bartels“ (profil) ist mit seiner millionenschweren Abfindung bereits nach Hamburg zurückgekehrt, um sich vom stressigen Zeitungsjob zu erholen. „Ich werde mich mit meiner kleiner Jagd beschäftigen, da muß ich noch einige Abschußpläne erfüllen.“ Bald schon aber wird er nach Wien zurückkehren, um für ein Buch über die österreichischen Medien zu recherchieren. Ein Kapitel will er sogar Kurt Falk widmen.

Der gab sich in einer Krisensitzung ziemlich mutlos. „Soll ich zusperren, soll ich Schluß machen“, fragte der glücklose Verleger, der auch in ruhigeren Zeiten stets ein wenig geknickt wirkt, die ebenfalls ratlosen Redakteure. Die Zeitschrift TV-Media wollte sogar wissen, daß die Redaktion „betroffen bis weinend“ auf den Bartels-Abschuß reagiert habe.

„Vielleicht vor Freude“, meint Chefredakteurin Renate Zikmund, die bisher lediglich den Titel tragen durfte, aber sonst nichts zu sagen hatte. Inzwischen gehe es wieder kollektiver zu – fragt sich nur wie lange. Denn in der Chefetage soll bereits der nächste Blattmacher in den Startlöchern stehen. Diesmal vorsichtshalber niemand aus Deutschland, sondern vom Konkurrenzblatt Krone. Bis der richtig loslegt, gilt Bartels' ehemaliger Stellvertreter Martin Miersch als Interimslösung – der war dereinst gemeinsam mit dem Boulevard-Cowboy von Hamburg nach Wien geritten.

Sollte auch Bartels' Nachfolger keinen Erfolg haben, könnte Verleger Falk immer noch verkaufen – einen Interessenten gäbe es sogar: Bartels. Der hatte in einem Interview bereits reges Interesse bekundet: „Dafür würde ich sogar mein Haus verpfänden. Kein Schmäh.“ Wäre ja mal was Neues.

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