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„Schwarzen wird das Leben zur Hölle gemacht“

■ Aly Renwick (52), in den sechziger Jahren als Soldat der britischen Armee in Nordirland stationiert, über die Gründe, warum sogar Berufssoldaten dem Kommis den Rücken kehren

taz: Sie waren acht Jahre lang britischer Soldat. Wie sind Sie von der Armee weggekommen?

Aly Renwick: Ich war von 1960 bis 1968 Soldat. In dieser Zeit war ich mehrmals in Nordirland stationiert, also bevor der Konflikt offen ausbrach. Ich gehörte einem Bautrupp an, den Royal Engineers. Mitte der sechziger Jahre mußten wir in Thailand nahe der vietnamesischen Grenze einen Flughafen bauen. Damals tobte der Vietnamkrieg, und mir wurde schnell klar, daß die Vietnamesen im Recht waren. Bei uns in der Nähe war ein US-Luftwaffenstützpunkt; die Korruption, die dort herrschte, war unglaublich. Die Thais wurden von den US-Soldaten sehr schlecht behandelt. Weil ich offen darüber sprach, galt ich als zu politisch und durfte mich freikaufen.

In Großbritannien gibt es keine Wehrpflicht. Dennoch ist es nicht einfach, aus der Armee entlassen zu werden, wenn man sich einmal verpflichtet hat, oder?

Das ist sehr schwierig. Man überredet die Rekruten, langfristige Verträge zu unterschreiben. Zwar kann man sich theoretisch freikaufen, aber die Armeeführung kann das auch ablehnen. Ich habe es viele Male probiert – es wurde immer abgelehnt, bis sie mich schließlich gehen ließen. Die Offiziere sagten, sie hätten mich ausgebildet, also müßte ich auch meinen vollen Dienst ableisten.

Und was ist mit Desertieren? In den siebziger Jahren gab es doch eine Bewegung, die dazu aufrief.

Das hatte mit Flugblätter angefangen, die an Soldaten in Nordirland verteilt wurden. Dann stellte man sich auch vor Kasernen in Großbritannien. Bemerkenswert war, daß die Soldaten und ihre Familien überhaupt nicht feindselig reagierten, im Gegenteil. Aber die Behörden waren aufgebracht, es gab Verhaftungen. Später wurden Aktivitäten im Untergrund organisiert. Dabei ging es darum, den Soldaten zu helfen, nach Schweden zu fliehen. Einige haben das Angebot angenommen, um nicht nach Nordirland zu müssen.

Wo sind die heute? Sind sie zurückgekehrt, oder müßten sie noch immer mit einer Anklage rechnen?

Das müßten sie wohl. Es gibt bestimmt noch einige Deserteure in Schweden. Aber weit mehr Soldaten liefen damals einfach weg und versteckten sich bei Freunden und Verwandten in Großbritannien. Das geschah vor allem in den Siebzigern, als in Nordirland noch die Soldaten in vorderster Linie standen. Dann hat man die einheimische Polizei schwer bewaffnet und an die Front geschickt. Die meisten Deserteure wurden geschnappt, vor ein Kriegsgericht gestellt und in Armeegefängnisse gesteckt. Später wurden sie entweder unehrenhaft entlassen oder mußten wieder Dienst tun.

Wie ist es heute? Gibt es immer noch Soldaten, die desertieren?

Ja, aber inzwischen weniger wegen eines Nordirland-Einsatzes, sondern aus anderen Gründen. Rassismus ist in der Armee sehr verbreitet. Schwarzen Soldaten wird das Leben zur Hölle gemacht, und viele laufen weg. Ein anderer Grund sind die Initiationsrituale, die oft sexueller Natur sind. Manch junger Rekrut kommt damit nicht klar und wird von der Truppe schikaniert. Schließlich sind Drogen ein Grund zu desertieren. Seit fünf Jahren steigt der Drogenkonsum stetig an, meistens handelt es sich um Cannabis oder Ecstasy. Die Armee hat Drogentests eingeführt, und mancher Soldat, der mit einer Anklage rechnen muß, haut lieber vorher ab.

Sind das individuelle Entscheidungen, mit denen die Soldaten alleine klarkommen müssen, oder gibt es Organisationen, die sie unterstützen?

Eine Organisation, „At Ease“, bietet telefonische Beratungen an. Man kann sich dort aber nur über die legalen Wege informieren, die aus der Armee hinausführen. Ich selbst kümmere mich um Soldaten, die straffällig geworden sind. Das fing vor ein paar Jahren an, nachdem ich einen Roman geschrieben hatte, der sich auf Ereignissen in Nordirland gründet. Das Buch gelangte irgendwie in eine Gefängnisbibliothek. Daraufhin bekam ich einen Brief von einem Exsoldaten, der zweimal in Nordirland stationiert war. Er hatte zu trinken angefangen, tötete einen Menschen. Nach sieben Jahren Gefängnis kam er frei und tötete wieder jemanden. Er ist nur einer von Tausenden, die in den letzten 25 Jahren straffällig geworden sind, nachdem sie in Nordirland stationiert waren. Hunderte sitzen noch in den Gefängnissen. Interview: Ralf Sotscheck

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