■ Querspalte: Ab durch die Mitte
Die Berliner Busfahrer haben die Kontrolle über ihre Fahrzeuge verloren. Deshalb fordert der Gesamtpersonalrat der Verkehrsbetriebe BVG den Wegfall des „Mitteleinstiegs“. 1989 hatte man im damals rot-grünen Westberlin schon einmal für einige Monate den „Mitteleinstieg“ erlaubt. Das ersparte den Fahrgästen erheblichen Psychostreß wegen der wegfallenden Gesichts- und Kartenkontrolle.
Die für ihre unübertroffene Freundlichkeit weltweit berüchtigten Berliner Busfahrer aber fühlten sich plötzlich wie entmachtete Diskotürsteher. Sprunghaft stieg die „Schwarzfahrerquote“, der „Mitteleinstieg“ fiel. Wieder bildeten sich dichte Knäuel vor den Fronttüren der „Großen Gelben“ – ein Begriff der anderswo für Spuckabsonderungen auf Bürgersteigen steht.
Mit dem Fall der Mauer begann für Westberliner Busfahrer eine Horrorperiode, die bis heute anhält. Das nahverkehrsfreundliche Ostberlin brachte Fahrzeuge in den nun gemeinsamen Wagenpark ein, die man im Westen nie hatte anschaffen wollen: Gelenkbusse. Diese haben drei Türen! Was tun? Wie sollte man die Idee, zwei Türen für den Einstieg zu sperren, den Ostlern klarmachen, die seit November 89 gewöhnt waren, offene Türen einzurennen. Also führte man, quasi durch die Hintertür, den Mitteleinstieg wieder ein. Zunächst mit einer Sonderregelung für die „Schlenkis“ im Osten, die dann heimlich auf die Doppeldecker ausgedehnt wurde. Der Kauf neuer Gelenkbusse auch für den Westen – vorher mit dem Argument abgeschmettert, man könne für die längeren Haltestellen keine Parkplätze opfern – und die Bestellung von Doppeldeckern mit drei Türen, entmündigte die Fahrer endgültig.
Nun bleibt ihnen nur noch die gewerkschaftliche Errungenschaft aus Vordereinstiegszeiten, „Beförderungsfälle“ an der ersten Haltestelle einer Linie in der Kälte stehen zu lassen, denn die könnten durch ihr Sitzen im warmen Bus den Fahrer beim BZ-Lesen stören. Und dies erhöht laut BVG die Unfallwahrscheinlichkeit! Andreas Becker
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