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Kriterien für den Doppelmoraltest

■ betr.: „Mauerschützen müssen bü ßen“, „Grobkörniger Richter spruch“, Tagesthema, taz vom 13.11. 96

[...] Wenn Bruder oder Schwester der Frau Albrecht im Drahtverhau der Linksfaschisten qualvoll verblutet wären, möchte sie vielleicht ihre feinkörnige Tantenjustiz dahingehend korrigieren, daß ein Mord an Hilflosen, ob in Auschwitz oder an der Berliner Mauer, gleichermaßen als fluchwürdiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen ist. [...] Wolfgang Teichmann, Berlin

Vielen Dank an Julia Albrecht für ihren Bericht über die Entscheidung des BVerfG im Mauerschützen-Fall. Vor allem ihr Kommentar war hervorragend, argumentativ sowie sachlich.

Das BVerfG entscheidet in jüngster Zeit, wie mir scheint, nach Belieben. Ich unterstelle ihm keine Willkür. Gleichwohl muß es für jedermann den Anschein haben, daß hier, wie auch jüngst in der Entscheidung über die Verwendung des Tucholsky-Zitats „Soldaten sind Mörder“, nicht zuerst der Tatbestand und dann – nach sorgsamer Prüfung der Rechtslage – das Ergebnis/Urteil stand, sondern umgekehrt. Folglich kam das BVerfG in seiner Begründung beide Male in enorme Legitimationsschwierigkeiten. Fehlt die rechtliche Grundlage, wird mittels haarsträubender Argumentation krampfhaft eine solche konstruiert. Hier wie da. Als Student der Rechtswissenschaft wird mir eine solche Argumentation und Vorgehensweise als „nicht haltbar“ mit Punktabzug bis hin zur Nullgrenze quittiert.

Grundsätze, die für uns „absolut“ und verbindlich sind, sollten auch und gerade für unser Mitbürger der ehemaligen DDR gelten; wurde doch dieser „Unrechtsstaat“ frühzeitig von der Bundesrepublik anerkannt (und hofiert) – trotz seiner Menschenrechtsverletzungen.

Das BVerfG macht sich durch diese Entscheidung nicht glaubwürdiger. Susanne Drtina, Jurastudentin im 3. Semester

Sehr geehrte Frau Albrecht, finden Sie es ungerecht, daß ein Mord, weil's „nur“ ein Mord an der Mauer ist, mit einer Bewährungsstrafe gesühnt wird? Ja? Ich auch. Allerdings nicht, weil die Strafzumessung als zu hoch erscheint.

Es wurde niemand gezwungen, an der Mauer zu dienen. Und – es kann sich niemand auf einen Befehlsnotstand berufen: Das DDR- StGB äußert sich ausdrücklich entsprechend. Das DDR-StGB gebietet einem Söldner nachdrücklich, Befehle, die gegen die Menschenwürde/Menschlichkeit verstoßen, nicht auszuführen. Und unterstreicht, daß eine Befehlsverweigerung keine strafrechtlichen Konsequenzen haben kann. Entsprechend wurde auch in der Praxis verfahren. [...] Hanno Sponholz,

Lexington, USA

Was lernen wir daraus, wenn auch die Soldaten, die Menschen erschossen haben, vor Gericht gezogen werden, gleichzeitig aber Kriegsdienstverweigerer immer noch zu Haftstrafen verurteilt werden? „Sie brauchen nicht zu wissen, daß Menschen erschießen Unrecht ist.“

Wann wollen wir endlich unsere Schizophrenie loswerden, endlich die Konsequenz ziehen, daß jeder, der vorsätzlich Menschen erschießt oder dasselbe vorbereitet – zum Beispiel in der Bundeswehr –, Menschenrechtsverletzung begeht? Oder wollen wir wieder bis zum „Verteidigungsfall“ warten? M. Brejo, Berlin

[...] War bislang die Formulierung „Was gestern Recht war, kann heute doch nicht Unrecht sein“ noch immer der beliebteste Rechtfertigungsgrund von Ex-Ministerpräsident Filbinger, so könnte jeder unbefangene Beobachter nun auf eine strafrechtliche Verfolgung derartiger Schreibtischtäter hoffen. Da dies aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit leider jeglicher Hoffnung entbehrt, bleibt vom Urteil, so begrüßenswert es in bezug auf die ist, die die Befehle erteilten und somit die Verantwortung tragen, nicht mehr als der schale Geschmack von Siegerjustiz. Wieder einmal hat sich das Bundesverfassungsgericht zum willfährigen Erfüllungsgehilfen geistig-moralischer Wenden degradiert. „Recht“ liegt offensichtlich nicht nur semantisch näher bei „rechts“ als bei „links“. [...] Siegfried Reusch, Stuttgart

[...] Leider wird über andere Soldaten, die ebenfalls auf Befehl „ihr Vaterland verteidigten“, nicht so geurteilt. Ich denke da an die Soldaten der Wehrmacht, deren Verbrechen nach dem Willen der CDU heute nicht mehr erwähnt werden dürfen (die CDU versucht gerade, in Bremen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ zu verhindern). [...] Andreas Riese, Oldenburg

[...] Nach dem Urteil wird sich demnächst Roman Herzog überlegen müssen, wie er mit Politikern umgeht, die friedliche Demonstranten erschießen und von Panzern überrollen lassen. [...]

Das Urteil des BVerfG ist ein Stückchen Vergangenheitsbewältigung. Die daran geübte Kritik wird bestätigt, wenn es nicht auch zur Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung verwendet wird. Beim nächsten Treffen deutscher Politiker mit kriminellen Kollegen bestimmt das Urteil des BVerfG die Kriterien für den Doppelmoraltest. Götz Kluge, München

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