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Da hängen sie nun im Glaskegel, verloren und zerfleddert: Ein Schwarm

verirrter Engel. Manche haben es fast bis zum Oberlicht geschafft, die meisten baumeln in der Mitte, einige sind schon abgestürzt in den Krater unterhalb der Freßetage. Zusammengesetzt hat Andrej Woron das überdimensionale Mobilé mit dem kreativen Titel „Kreaturen, Kreatoren, Kreatouren“ aus Bühnenobjekten früherer Inszenierungen. Aus „Mannequins“, wie er die lebensgroßen Doubles seiner Schaupieler selbst bezeichnet. An Ballons und Regenschirmen hängend, mit grotesken Flugmaschinen und Minipropellern, mit Flügeln aus Metall, aus alten Leitersprossen und roten Fahnen halten sie sich in der Luft. Noch am Aufsteigen oder bereits im halsbrecherischen Sturz. „Gefallene Engel“ nennt Woron seine geflügelten Schützlinge, und ein bißchen komisch ist ihm schon, sie im Zentrum der Galeries Lafayette zu exponieren, in Jean Nouvels spiegelndem Trichter, „neben Strumpfhosenständen, in dieser ganzen Konsumwelt, mit der man sich eigentlich gar nicht beschäftigen mag“. Dann erklärt er, freundlich unter seinem Schlapphut blinzelnd, das utopische Streben der Engel, ihre Bedeutung innerhalb der Inszenierungen, spricht über die Konfrontation von Kaufhaus und Theater, vom poetisch-sentimentalen Ausdruck der aufgeknüpften Gestalten. Sentimental ist das Stichwort, denn eine rührselige Nostalgie durchdringt die gesamte Installation, ein zutiefst osteuropäisches Schluchzen, das sich im Weltschmerz lustvoll eingerichtet hat. Selbst die zerdepperten Figuren, die Schädel und kaputten Uhren in der Tiefe des Kaufhaustrichters wirken noch pittoresk im hübschen Arrangement mit den warmen Farben. Auch wenn der Christkindlterror noch nicht aus den Lautsprechern quillt – Worons Figuren formieren sich schon jetzt zu einem Ensemble wenn auch leicht chaotisierter Weihnachtskrippenästhetik, baumeln bereits am riesigen imaginären Christbaum in der Mitte des Konsumtempels. Dagegen ist nichts einzuwenden, schließlich profitieren Lafayette und das Teatr Kreatur gemeinsam vom Werbeeffekt, von der Neugier eifrig in den Glastrichter knipsender Touristen. Und direkt neben dem vom Regisseur so skeptisch beäugten Strumpfhosenstand finden sich auch die Spendenaufrufe für seine in schlimmen Finanznöten schlingernde Truppe.

Daß die Mannequins, erst einmal außerhalb des Kontextes der Aufführung, von der säuselnden Verkaufsatmosphäre überzogen, in das Dekor integriert werden, ist nur insofern problematsich, als ihr Schöpfer sich darüber offensichtlich keine Gedanken gemacht hat. Von Konfrontation, geschweige denn Irritation also keine Spur. Da müßte man der Feinschmeckerabteilung schon etwas anderes zu Füßen legen, damit dem ein oder anderen die Auster wenigstens einen Augenblick im Halse stecken bleibt.Katja Nicodemus

Noch bis 17. Januar, Galeries Lafayette, Friedrichstraße

Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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