Rechnungen abgelehnt

■ Schon seit dem 1. Oktober zahlen einige Krankenkassen in Bayern keine Schwangerschaftsabbrüche mehr bei Spezialisten

Das bayerische Sozialministerium legt den Abtreibungsärzten ab sofort die Daumenschrauben an. Dabei soll das entsprechende bayerische Sondergesetz zum Paragraphen 218 erst am 1. Juli 1997 in Kraft treten. Von diesem Stichtag an darf in Bayern kein Arzt mehr als 25 Prozent seiner Einnahmen aus Schwangerschaftsabbrüchen erzielen. Das bayerische Gesetz verlangt außerdem, daß ausschließlich Gynäkologen Abtreibungen vornehmen dürfen.

Nun ist ein Schreiben des bayerischen Sozialministeriums an die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern bekanntgeworden. Es datiert auf Ende September und fordert die Kassen auf, schon ab 1. Oktober 1996 nach dem Sondergesetz zu vefahren. Nur Ärzte, die die Auflagen erfüllen, sollen die Kosten für einen Abbruch erstattet bekommen.

Dieses Schreiben hat zu großer Verunsicherung bei den bayerischen Krankenkassen geführt. Nach dem Bundesgesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen sollen die Kassen die Kosten für einen Abbruch übernehmen, wenn das Einkommen der Frau 1.700 Mark nicht übersteigt. Diese Auslagen (mindestens 650 Mark in Vollnarkose und 500 Mark bei lokaler Betäubung) werden dann von der jeweiligen Landesregierung an die Kassen zurückerstattet. Nach dem Schreiben des Ministeriums sorgen sich die Kassen um ihr Geld.

Zum vorauseilenden Erfüllungsgehilfen hat sich die Geschäftsstelle der AOK in Miesbach gemacht. Bereits im Juli lehnte sie die Rechnung eines Ludwigsburger Arztes ab. Seine Praxis entspräche nicht dem Sondergesetz. Vor der Abtreibung hatte die Kasse der in Bayern lebenden Frau zugesagt, die Kosten zu übernehmen. Nun liegt Ludwigsburg allerdings nicht in Bayern, sondern in Baden-Württemberg. Durch den Druck über die Kosten würde Bayern sein Sondergesetz damit also auf andere Bundesländer ausdehnen. Selbst die bayerische AOK- Zentrale in München ist inzwischen davon überzeugt, daß die Geschäftsstelle Miesbach übers Ziel hinausgeschossen ist.

Nach dem Schreiben aus dem Sozialministerium haben auch andere Ortskrankenkassen Rechnungen für Abtreibungen nicht bezahlt. In diesen Fällen sind allerdings ausschließlich bayerische Ärzte betroffen. So wies die AOK Hof eine Rechnung des Nürnberger Frauenarztes Andreas Freudemann mit dem Hinweis zurück, daß er nicht die Facharztzulassung als Gynäkologe nachweisen könne. Freudemann ist neben Friedrich Stapf der bekannteste Abtreibungsarzt in Bayern und im Gegensatz zu seinem Münchner Kollegen sehr wohl Gynäkologe. Stapf selbst hat unbezahlte Rechnungen von mehreren Kassen zurückerhalten, unter anderem von der AOK Memmingen. Seine Außenstände seit dem 1. Oktober 1996 betragen inzwischen über 70.000 Mark.

Die Nürnberger Rechtsanwältin Christine Roth, die die Interessen von Stapf und Freudemann vertritt, hat Widerspruch gegen die Zahlungsweigerung der Kassen eingelegt. Außerdem verstoße das Schreiben aus dem bayerischen Sozialministerium gegen höherrangiges Bundesrecht. Das Bundesgesetz zur „Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen“ betont, daß die Patientin frei unter den Ärzten und Einrichtungen wählen kann, die „sich zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs bereit erklärt haben“.

Die gleiche Argumentation findet sich in der Verfassungsklage, die Stapf und Freudemann in dieser Woche eingereicht haben. In ihren Spezialpraxen nehmen die beiden Ärzte über die Hälfte der Abtreibungen in Bayern vor. Da das Sondergesetz verbietet, mehr als 25 Prozent der Einnahmen aus Schwangerschaftsabbrüchen zu erzielen, müßten Stapf und Freudemann ihre Praxen schließen.

Damit wäre die „angemessene Versorgung“, wie sie das Bundesgesetz vorschreibt, in Frage gestellt. Die Frauen, die einen Spezialisten aufsuchen wollen, müßten in Zukunft weite Anfahrtswege in Kauf nehmen. Das gesundheitliche Risisko und die psychische Belastung im Konfliktfall würden wieder steigen.

Die beiden Ärzte berufen sich in ihrer Verfassungsklage außerdem auf Artikel 12 (Berufsfreiheit) und Artikel 14 (Eigentumsschutz) des Grundgesetzes. Sie haben ihre Praxen 1993 unter großem finanziellen Einsatz eingerichtet. Das bayerische Sondergesetz entzieht ihnen die Existenzgrundlage und droht – im Gegensatz zum Bundesgesetz – mit Haft bis zu einem Jahr. Sollte die Klage abgewiesen werden, wird es ab dem 1. Juli 1997 in Bayern keine Ärzte mehr geben, die auf Abbrüche spezialisiert sind. Und ein Präzedenzfall wäre geschaffen für einen völlig neuen Rechtsgrundsatz: Länderrecht bricht Bundesrecht. Daniela Weingärtner