: Verdrängter Jubel
„Hitler in Hamburg“: Werner Johe belegt mit Marginalien die hanseatische Führertreue ■ Von Heinz Günter Hollein
„Der National-Club hatte die Sache arrangiert. Sehr diskret und hinter verschlossenen Türen. Das trockene Gedeck kostete 3 Mark. Was und wieviel getrunken wurde, entzieht sich unserer Kenntnis“, schreibt der an Tucholsky geschulte Berichterstatter des Hamburger Echos am 26. März 1926 über einen Hitler-Auftritt im Hotel Atlantic. Nach gehaltener Rede fuhr „Adolf Hitler dann wieder gen Bayernland, wo ihm das Reden verboten ist“.
Solch erfrischendes Understatement beanspruchten die Hamburger – nach 1945 – gern für sich und behaupteten gar, „der Führer“ habe Hamburg regelrecht gemieden. Zum pikanten Thema „Hitler in Hamburg“ hat jetzt der Historiker Werner Johe, bekannt durch seine Studien zu Geschichte der NS-Zeit in der Hansestadt, in der Reihe „Forum Zeitgeschichte“ der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus eine Quellensammlung vorgelegt: Sie durchlöchert den Mythos vom unterkühlt-distanzierten Sonderverhältnis der Elbhanseaten zum „Führer“ gründlich.
1930 sprach Hitler wieder im Atlantic. Diesmal war es schon „schwer, einen netten Tisch zu bekommen“, wie der Direktor des Rechnungsprüfungsamtes Erwin Garvens in seinem Tagebuch verzeichnet. Hitler, so Garvens weiter, „hatte übrigens nicht mitgefuttert, angeblich, weil er sich in Essen den Magen verdorben hatte. Jedenfalls ein sehr interessanter Abend“.
Es ist die Unmittelbarkeit der Dokumente – Briefe, Tagebücher, Behördenschriftstücke –, aus denen „Hitler in Hamburg“ zu einem entlarvenden Chor von Zeitzeugenstimmen zusammengefügt ist: „NichtarischenSchülern ist die Teilnahme an der Spalierbildung freigestellt“, sieht zum Beispiel die „Anordnung der Landesunterrichtsbehörde betreffs Führerbesuch am 17. 8. 1934“ vor. Auch an Unmut fehlt es nicht: SA-Ober-sturmführer Henckell schreibt fünf Tage nach dem großen Ereignis an den Gau Hamburg: „Wir alten SA-Männer hätten erwartet, daß uns bei einer Teilnehmerzahl im Rathaus von 1200 Personen mehr als 13 Plätze eingeräumt worden wären. War es nötig, daß nahezu die Hälfte des Saales mit Frauen besetzt war?“
Zwei Jahre später war „ER“ wieder da: „Hamburg ein Flaggenmeer“ leitartikelt das Hamburger Fremdenblatt am 21. März 1936. Doch als der Jubel verklungen ist, „fehlen 103 Fahnen, 120 Meter Flaggenleine und 3 Flaggenstangenknöpfe. Die Fahnen gehören der Firma Apfelstedt & Hornung, der der Senat 2000 RM ersetzen muß, wenn die Fahnen sich nicht wieder anfinden“, klagt die Behörde für Technik u. Arbeit gegenüber dem Hamburger Staatsamt.
Aber man will auf jeden Fall dabeisein – wie der spätere diskrete Mitbegründer von Hamburgs CDU, Senator Wilhelm Burchard-Motz. Der bittet im Juni 1933 als neuer Parteigenosse den Staatssekretär Georg Ahrens persönlich darum, „daß ich das Recht verliehen erhalte, das Braunhemd zu tragen“. Oft mischen sich auch Überzeugung und Opportunismus aufs Glücklichste, etwa wenn ein alter Kämpfer wie der Oberscharführer Arnold Müller, „Weine und Spirituosen, Papenhuderstraße 49-51“, sich der Senatskanzlei „ergebenst“ andient, die „Bewirtung des Führers ehrenamtlich anzubieten“.
Mit überzeugtem Gehorsam verspricht der in den Hamburger Annalen stets verschämt unterschlagene Bürgermeister Carl Vincent Krogmann bereits im August 1934 „seinem“ Führer: „Wir Hamburger sind bereit, Ihnen zu folgen, wohin Sie uns führen und wie immer unser Führer auch befehlen mag.“
„Hitler in Hamburg“ will keine historische Studie sein. Der Autor beschränkt sich darauf, die Hintergründe der Zeit zwischen 1925 und 1939 zu skizzieren – in der klugen Einsicht, daß Zeitzeugnisse in ihrer vermeintlichen Banalität ein sehr viel eindringlicheres Bild vermitteln als eine eloquent vorgetragene These. Hamburg, das macht Johes Buch deutlich, hat sich dem Phänomen Hitler nicht entzogen – und auch nicht entziehen wollen.
Werner Johe: Hitler in Hamburg, Ergebnisse Verlag, 48 Mark
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