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Zwei Schüsse, ein Krimi

■ Mit ihrem Kelly-Bastian-Stück entwirft Barbara Englert ein genaues Generationenportrait

Fehlt nur der Trenchcoat, und Bogarts Marlowe wäre komplett: Mit rauchig-cooler Stimme, ge-spreizten Beinen im Sitzen und hängenden Schultern im Gehen erobert sich die Schauspielerin Barbara Englert vom ersten Moment an die Bühne. Mit dem Habitus aus der schwarzen Serie Hollywoods führt sie mitten in den Abend hinein und auf den ersten Blick zugleich weg vom Sujet: Dem Leben und Tod Petra Kellys und Gert Bastians, dem 1992 tragisch zugespitzten Melodram aus dem Kabinett linker Leitfiguren.

Zwei Schüsse, viele Fragen: „Primadonna, Schwerer Held“ heißt das von Wolfgang Spielvogel für Barbara Englert geschriebene und von der 1958 geborenen Schauspielerin auch bei ihrem Auftritt zum „3. Festival Politik im freien Theater“ gespielte bis verkörperte Stück. Auf dem Programmzettel wird es für alle, die vom Theater noch Informationen wie aus Fernsehen, Radio oder Zeitung erwarten, vorsichtshalber als „keine Dokumentation“ annonciert, womit Platz ist für echt theatrale Rück-Sichten, Ausflüge und Seitenhiebe.

Zwei Schüsse, ein Krimi, den Spielvogel und Englert zunächst aufrollen wie im Kino. Auf einer fast leeren, nur von schwarzen Prospekten und unverhüllten Riesenscheinwerfern begrenzten Bühne erscheint die Englert als Detektiv im Aerobic-Outfit, der den offiziell als Totschlag und anschließenden Selbstmord beschriebenen Tathergang recherchiert und rekonstruiert. Als „Schwarzer“ gibt sich dieser Detektiv aus; nicht als Alice Schwarzer, sondern als fiktiver dunkelhäutiger Stiefvater von Petra Kelly selig: „In Wirklichkeit ist der Stiefvater von Petra Kelly kein Schwarzer, aber mir gefällt die Idee“. Mit derart spielerischer Leichtigkeit zieht die Marlowa des Polittheaters das Publikum im zur Bremer Premiere nur mäßig gefüllten Schlachthof in den Bann einer kühn-abwechslungsreichen Montage aus Biographie und Autobiogramm, aus Generationenportrait, szenischem Spiel und kritisch-ironischer Befragung.

Die Kelly, der Bastian: Zwei Symbolfiguren der Grünen und der Friedensbewegung, die man ihrer Politik der Subjektivität wegen abservierte, als der parlamentarische Arm flügge und Machtfaktor zu werden begann. Wenn die Englert in die Rollen des Protagonistenpaares schlüpft, ist sie von einer plumpen Huldigung genauso weit entfernt wie von platten Schuldzuweisungen. Ihr Bastian ist eben soldatisch-altväterlich und kommt zugleich in der ganzen Gebrochenheit des Verantwortungsmenschen daher. Und ihre im Tonfall recht genau getroffene Kelly wiederbelebt diese einzigartige Mischung aus Fünf-Sekunden-vor-Weinkrampf und eloquenter Beharrlichkeit, aus Recht haben und penetranter Rechthaberei. Auch wenn man manchmal aus dem Kichern nicht herauskommt, wird da jedoch nicht denunziert, sondern befragt, und wenn sich die Englert aus der Rolle fallend die schwarze Schminke mit dem Satz „ich glaube, ich bin zu schwach“ aus dem Gesicht wischt und den tatsächlichen Kollaps andeutet, bekundet sie auf intelligente Weise ihren Respekt vor den Toten.

Das Solotheater, das ohnehin zu einer der letzten Domänen des freien Schauspiels zählt, entfaltet sich in „Primadonna, Schwerer Held“ nicht als Selbstenthüllung, sondern als Spurensuche im kollektiven Bewußtsein. Allein der Abend ist mit zweieinhalb Stunden um eine halbe zu lang - in den vorletzten der sieben Bilder nimmt Barbara Englert zu sehr Abschied von der Montage und verlegt sich zu sehr auf Lebensausschnitte der beiden Protagonisten, die im Kontrast zum vorherigen kaum neue Aspekte offenbaren. Doch ändert dies nichts daran, daß „Primadonna, Schwerer Held“ zu den Favoriten für die am Sonntag zu vergebenden vier Preise zählen dürfte. Christoph Köster

heute 20 Uhr im Schlachthof

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