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Es macht Ah und Oh

■ Modellversuch in der Straßenbahn: Macht Radio die Mannheimer Fans friedfertiger?

Mannheim (taz) – Ubballa, gewonnen. Und gleich so deutlich, zwei zu null. Jetzt stehen sie da, in der Straßenbahn, ganz überrascht. Ach, Waldhof, deine Mannheimer! Die SV-Fans haben in der Zweitklassigkeit das enthusiastische Siegen verlernt. „Mir sind halt gritisch“, analysiert ein Blauweißer die badische Gelassenheit nach dem sensationellen Sieg über den 1. FC Kaiserslautern. Der Nachbar bewegt sparsam den bemützten Kopf. Eben noch einen Platz vor dem Abstieg und jetzt jubeln?

Außerdem erfordert der Heimweg Konzentration: Fahnenstangen und Gleichgewicht halten – und die Ohren offen für etwas ganz Einzigartiges: die dritte Halbzeit. Austragungsort: Straßenbahn. Schiedsrichter: Radio.

Egal, daß Waldhof dauernd verliert, egal, daß die Querelen in der Vereinsführung lächerlich sind, egal, daß Ex-Trainer Schlappner Sympathien zur NDP nachgesagt werden, egal, daß die Besucherzahl sinkt. Schwamm drüber, Mannheim für immer! Mit Fußballradio in der Tram. Seit einem Jahr schalten die weißblauen Wagen unterwegs zum Stadion oder vom Stadion weg ihre Antennen auf Empfang, wenn Waldhof zu Hause spielt. Dann sendet das Kurpfalzradio (SDR) seine Sportsendung mit Interviews, Live- Reportagen und Trainerstimmen. Die Mannheimer nehmen's emotionslos: „Subba Sach.“

Eingequetscht hinter dem Ticket-Stempelkasten singt eine Frau mit Nino de Angelo „...sind wir jenseits von Eden“. Sie trägt den Schal der roten Teufel vom Betzenberg und hat gerade die erste Saison-Niederlage des konzeptlosen Tabellenführers erlebt. „Das ist schön, so Radio. Das haben wir nicht.“ Großzügig auch zwei andere Schlachtenbummler aus Kaiserslautern: „Waldhof braucht die drei Punkte dringender als wir.“ Soll das die seit Wochen debattierte Rivalität sein zwischen den Badenern und den Pfälzern?

Die Gruppe der Rotweißen steht direkt unter einem Deckenlautsprecher. Niemand ruft „Ruhe“. Es ist ruhig. Rehagel und Sebert geben ihre Kommentare ab. Der eine ist enttäuscht, der andere froh. Die zweite Halbzeit war schlecht, das ganze Spiel war gut. In der Pause war man motiviert, während des ganzen Spiels war man kampfbetont. Die Stimmung der Fahrgäste bleibt konstant. Nur ganz hinten ereignet sich ein vorübergehender Taumel – drei blauweiße Schals werden geschwenkt. Dann die Ergebnisse der Bundesligaspiele, und die Straßenbahn macht Ah (Bayern–Rostock) und Oh (Bielefeld–Freiburg).

Frieden zu stiften unter den Fans war ursprünglich nicht das Konzept des Radiosenders und der Mannheimer Verkehrsbetriebe (MVV), als sie den Deal im vergangenen Jahr beschlossen. Die einen kriegen Geld für eine ausgedehntere Berichterstattung, die anderen haben einen Anreiz für Autofahrer zum Umsteigen.

Zugegeben, das Verkehrsaufkommen hält sich bei durchschnittlich 5.000 Zuschauern in Grenzen, und ob der Werbegag bei den Waldhof-Treuen auch gut aufgehoben ist, da sind sich die MVV nicht mehr ganz sicher. Mannheim habe da ja noch die Eishockey- Adler. Und eine Polizei, die schon am frühen Samstagmorgen 23 Rädelsführer, die Rabatz angekündigt hatten, aus dem Bett in Gewahrsam nahm. Keilereien blieben weitgehend aus. Der Pressesprecher: „So hitzig war die Stimmung gar nicht.“ Sonja Striegl

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