: Katze ohne Öffnung
■ Oliver St. John Gogartys Memoiren „As I Was Going Down Sackville Street“
„Erwarten Sie von mir keine Perspektive. Die einzige Art, diese Stadt darzustellen, ist die Art, in der die Chinesen ihre Bilder malen: die Perspektive meiden.“ Diese ästhetischen Reflexionen entstammen dem irischen Literaten, Arzt und Politiker Oliver St. John Gogarty (1878–1957), genauer seinen autobiographischen Dublin-Reminiszenzen As I Was Going Down Sackville Street. Diese 1937 erstmals veröffentlichten Memoiren sind nun in deutscher Übersetzung erschienen.
Das Fehlen eines strukturierten Plots resultiert aber weniger aus einer perspektivenlosen als aus einer betont subjektiven Perspektive – und von dieser lebt das Buch. Denn besonders die saftigen, geistreich-ironischen und zuweilen aphoristischen Beschreibungen, die der scharfzüngige Autor zu politischen Geschehnissen und extrovertierten Charakteren seiner prominent-gediegenen Lebenswelt darbietet, setzen viel sarkastischen Humor frei und erheben – gebettet in eine elegante, locker fließende Prosa – eine schwungvoll-kurzweilige Lektüre.
Der Leser folgt Gogarty in durch Straßen und Salons im bürgerkriegsgeplagten Dublin der frühen zwanziger Jahre. Anders als etwa bei Joyces Dublin-Spaziergängertum in Ulysses geht es aber weniger um Bewußtseinsstromiges und innere Monologe als um die Strömungen kultivierter, zitatgespickter Dialoge im Milieu einer leicht snobistischen Dubliner Upperclass. Die Regierung de Valeras kommt dabei durchweg ungut weg: „De Valera und Degeneration sind synonym.“ Kein Wunder, daß das Buch zunächst der Zensur unterlag.
Gogartys pointierte Schmähtiraden treffen aber ebenso England (“Der Glauben ist in England auf Toilettenniveau gesunken“) und das irische Volk selbst: „Sie wollen ,autonom' sein wie eine Wildkatze mit einem Anus ohne Öffnung.“
Gogartys eigene (planvolle) Planlosigkeit sorgt dabei zuweilen selbst für Konfusion, vor allem aufgrund der Undurchsichtigkeit der den Schilderungen zugrunde liegenden politischen Verhältnisse. Umso signifikanter ist es deshalb, daß Gogartys subtil-ironische Beobachtungen solchen Rezeptionshindernissen zum Trotz zu unterhalten und amüsieren vermögen. Und so untermauert Sackville Street – trotz des Autors klischeefeindlicher Attitüde (“Wir leiden an einer Alptraum-Kultur imaginärer Gälen“) – doch noch ein Irland-Klischee: das von einem Land mit überduchschnittlich hohem Ausschuß an unikaler Literatur.
Christian Schuldt
Oliver St. John Gogarty: „As I Was Going Down Sackville Street“, Merlin Verlag, 459 Seiten
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