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Konferenz einer bedrohten Spezies

■ Filmkritiker der Zukunft: Belieferer von Datenbanken oder dreiste Schnellschreiber? / Symposium im Kino 46

Wie sieht die Filmkritik im Jahr 2000 aus, hieß eine Frage, die sich die ReferentInnen des Symposiums „Filmkritik – Bestandsaufnahme und Perspektiven“ am Wochenende im Kommunalkino 46 stellten. Eine andere könnte lauten: Wie sieht der Filmkritiker im Jahre 2000 aus? Vielleicht schon zu alt. Denn mindestens zwei Referenten – Thomas Elsaesser, Filmwissenschaftler an der Universität Amsterdam und Norbert Grob, Filmkritiker u.a. in der „Zeit“ – bekannten: Niemand über 50 ist gern Filmkritiker. Was mehr als eine Marginalie ist. Schließlich ist Filmkritik nicht nur ein stilistisches, sondern auch ein Generationsproblem. Wenn das Gros der Kinogänger nun mal die 16-29jährigen sind, ist es da rezeptionsästhetisch sinnvoll, daß der Kritiker aus dem biographischen Fundus eines, sagen wir mal, reifen Mannes schöpft?

Ein Verdienst des Symposiums, das sich während der drei Tage lebhaften Publikumsinteresses erfreute: nicht nur den Diskussionsstand der aktuellen Filmkritik reflektiert, sondern auch die ZuschauerInnen in Wallung gebracht zu haben.

Zum Beispiel durch Elitarismus. Andreas Kilb, Filmredakteur der „Zeit“, sekundiert von Heike Kühn (epd film), sah sich Breitseiten aus dem Publikum ausgesetzt, als er behauptete, der Kinofilm sei nach wie vor „Leitmedium für das Fernsehfilm“. Und Fernsehkritiken schreibe er nun mal nicht, er habe genug zu tun, Kinofilme zu rezensieren. Kilbs Dogma: Fernsehen ist „Filmästhetik minus x“. Und überhaupt: Ob Filme in Zukunft digital oder analog ausgestrahlt würden – die Filmkritik bleibt.

Da war sich Norbert Grob nicht so sicher: Für die nahe Zukunft diagnostizierte er das verstärkte Aufkommen „dreister Schnellschreiber“, anzutreffen besonders in Stadtzeitungen und im Radio: Mehr als 90 Prozent aller Kritiken fielen darunter. Der Rest teile sich in „langweilige Alleswisser“ vom Schlage eines Reich-Ranitzkys auf und in „engagierte Spezialisten“, doch die, so Grob, fielen wohl bald unter die Rubrik bedrohte Arten. Und dann kam Grob nochmal aufs Altern zu sprechen: „Jugendlichkeit steht der Filmkritik gut an.“

Angst davor, bald nicht mehr gelesen zu werden, hatte auch Rainer Mammen (Weser Kurier). Doch wie er mit seiner eigenen Befürchtung umgehen soll, darauf hatte Mammen auch noch keine Antwort. Sein Anliegen ist es jedenfalls, lesbare Kritiken zu schreiben.

Für den Hamburger Referenten Dietrich Kuhlbrodt (Autor in „konkret“ und „junge welt“) sollen sie sogar „auftrittsreife Performances“ sein, „Erlebnisberichte“. Kuhlbrodt vermutete schon, bei ihm sei „etwas nicht in Ordnung“, weil er („ich bin schon weit über 60“) immer noch Lust habe, Filmkritiken zu schreiben. Daß die Leselust gesteigert werde, wenn in der Kritik genügend „ästhetisches Material herangeschafft“ wurde, glaubt auch taz-Filmredakteurin Mariam Niroumand. Gefragt nach einem kritischen Instrumentarium, das für alle Filme gelten könne, mußte sie passen. Die Kriterien seien vom Film abhängig. Ihren Hang zum – oft als mainstream oder Konfektionsware abgetanen – Hollywood-Kino verhehlte sie nicht: Manchmal stehe ihr Sinn eben nach „good clean fun“ (so hat das Winona Ryder genannt), nach „Independence Day“ und „Pulp Fiction“ – zwei Kassenschlager, die die Kritikergemüter in erhebliche Unordnung brachten. Ein Surrogat mit Sucht-Extrakt sei Emmerichs Spektakel vom Angriff der UFOs aufs Weiße Haus, rassistisch und voll plattem Patriotismus. „Independence Day“ mache süchtig? Was sei daran negativ, daß sie nach dem Film noch mehr davon wolle, fragte sich Mariam Niroumand. Das sei doch besser als sich in den Filmen von Theo Angelopoulos – griechischer Autorenfilm-Saurier – drei Stunden zu langweilen. „Darf man sich auch in einem teuren Film noch amüsieren?“ hieß denn auch ihr Referat.

Filmkritik muß eine Dienstleistung sein, befand Thomas Elsaesser von der Universität Amsterdam. Bloß sei für ihn – wenigstens die holländische – Filmberichterstattung geeignet, dem Leser Recht zu geben in seiner Überzeugung, nicht ins Kino zu gehen. Und auch bei seinen StudentInnen müsse er sich auf ganz neuartige Formen der Filmrezeption einstellen – wieder einmal das Generationsproblem.

Wie sieht nun also die Filmkritik 2000 aus? Wohl nicht viel anders als jetzt. Solange wenigstens, wie die Kinobetreiber ihr Heil noch nicht in der digitalen Einspeisung der Filme suchen und jedes Kino bundesweit sein eigenes Programm „ausstrahlt“. Dann fiele die breite Öffentlichkeit als Voraussetzung für Kritiken flach, und die KritikerInnen – vor allem die überregionalen – müßten nach neuen Wegen suchen.

Einen bot mit Verve Joachim Polzer, Mitarbeiter im kürzlich eingeweihten Karlsruher Europäischen Zentrum des Kinofilms an: „Die Werkkritik hat ausgedient“, wandte er sich verschmitzt an die Adresse von Andreas Kilb, so als würde er sich nicht ganz ernst nehmen. „Sie reden wie ein Revolutionär, sehen aber aus wie ein Technokrat“, schlug der zurück. Durch die Digitalisierung werde es „bald mehr als Filme im Kino“ geben, ließ sich Polzer nicht beirren, und das Schreiben für die Datenbank werde das Entscheidende. Ob man dafür auch über 50 sein darf?

Alexander Musik

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