piwik no script img

Ja wo laufen sie denn?

■ Im Hamburger Bahnhof muß sich das Aufsichtspersonal täglich die Beine in den Bauch stehen, weil Sitzen der Aufmerksamkeit schadet. ÖTV: Wir stehen zu denen

Kunst ist etwas Schönes. Kunst regt die Phantasie an. Kunst macht Spaß. Oder doch nicht? Kunst kann zur Qual werden, wenn man sie mit schweren, müden Beinen abschreiten muß – immer wieder, tagtäglich, das ganze Jahr. Für die Aufsichtsperson Gerda Berger* im neuen Museum für Gegenwart, auch Hamburger Bahnhof genannt, werden Beuys, die amerikanischen Expressionisten oder die dunkle Welt des Anselm Kiefer zu Haßobjekten, weil kein Stuhl weit und breit steht, auf den sie sich einfach so mal hinhocken kann, bevor sie die nächste Runde macht.

„Es ist ganz schön schwer, die Gemälde und Objekte da noch gut zu finden“, sagt sie und trabt los zum nächsten Wachgang. Eine Sitzgelegenheit wäre nicht übel, nur um ein paar Sekündchen zu entspannen. „Ein Hocker wäre doch auch noch drin gewesen, in den Baukosten, meine ich.“ Also teilt sie sich das Steh- und Gehleid mit ihren 15 anderen Sicherheitsdienst-Männern und -Frauen sowie matten Besuchern, die sich höchstens im Café ausruhen dürfen. „Mit Kind ist das die Katastrophe“, japst eine Mutter, die sich diskriminiert fühlt, weil Kind und Kunst samt Stuhl nicht zusammengehen. Schaden also Sitzgelegenheiten dem Bildertempel?

Die Vermutung aber, im Hamburger Bahnhof hätten der Bilderspender Marx und die Museumsdirektoren entschieden, Ausruhplätzchen beschädigten das künstlerische Konzept, ist falsch. Es ist schlimmer: Statt wie in den anderen großen Museen der Welt alles zum Wohl der Wachtrupps (die oft im gebrechlichen Alter sind) zu unternehmen, „sitzt bei unseren Museen das Aufsichtspersonal generell nicht“, sagt Wolfgang Kahlcke, der nette Sprecher der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Sie laufen umher, denn die Aufseher sollen nur gehen oder stehen.“ Und dort, wo es Plätze gäbe, liefen sie auch – denn Sitzen mindere die „Aufmerksamkeit“.

Sitzen, so Kahlcke, dürften die Mitarbeiter in der 30minütigen Mittagspause und natürlich, wenn sie auf die Toilette müßten. Natürlich hält die ÖTV das Ganze für einen „Witz“. „Man kann Menschen nicht einfach vier Stunden stehen lassen“, sagt Axel Buggert und empfiehlt, den Personalrat aufzusuchen. Mit Erfolg? Ja, klar. „Die stehen zu denen.“ Rolf Lautenschläger

* Name von der Red. geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen