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Angst vor allem Neuen

Unberührbar geht Otto Rehhagel bei Zweitliga-Tabellenführer Kaiserslautern seinen Weg. Nach links oder rechts blickt er nicht  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Diese Hymne an die Anmut der südlichen Pfalz stammt von dem pfälzischen Maler und Dichter Friedrich Müller. Geschrieben hat er sie 1777 nach einem Ausflug nach Leinsweiler, wo später auch Max Slevogt wirkte. Leinweiler war auch für Otto Rehhagel Zwischenstation, als er sich mit dem abgestiegenen 1. FC Kaiserslautern auf den Weg zurück in die Fußballbundesliga machte.

Damals, im Juli, stellte sich eine Frage, die noch heute unbeantwortet im Raum steht: Braucht der 1.FCK diesen Trainer? Oder besser: warum braucht der 1.FCK ausgerechnet diesen Trainer? Einen, der despotisch bei Werder Bremen alle Macht für sich beanspruchte und der bei Bayern München genau an diesem Anspruch scheiterte; einen, der sich in seiner Schwabinger Penthouse-Wohnung verstecken wollte und deshalb den Namen „Rubens“ auf dem Klingelschild ließ?

Wer ist Rehhagel? Diese Frage ist auch heute, wenige Tage vor Ende der Hinrunde der 2.Bundesliga, längst nicht beantwortet. Der Klub wird als Tabellenführer überwintern; beim montäglichen 5:0 gegen Frankfurt kam sogar richtig Stimmung am Betzenberg auf. Der Trainer ist deshalb nicht lockerer geworden. Wer hat ihm etwas getan? Rätselraten und Kopfschütteln sind am Betzenberg an der Tagesordnung, da der ehemalige Anstreicher die Angewohnheit beibehalten hat, Menschen zu düpieren, die ihm für seine Begriffe zu nahe kommen.

Wie tief der vorgebliche Goethe-Freund bereits Bande mit der lokalen Muse geknüpft hat, weiß man dagegen nicht. Sein „Chef“ im Aufsichtsrat und Vor- Vor-Vorgänger Karl-Heinz Feldkamp hatte einst beklagt, in der Pfalz gebe es wenig Kultur außer dem 1.FCK. Dem ist inzwischen nicht mehr so: Das neue Pfalztheater lädt Otto und Beate zu Oper, Operette und sogar experimentellem Theater, die Kleinkunstbühne Kammgarn ist für die schrilleren Dinge da, und dann gibt es ja auch noch die altehrwürdige Pfalzgalerie mit den Seelenverwandten des Mannes, der einst in Essen den Pinsel schwang.

Einige von ihnen haben mit „König Otto“ etwas gemeinsam: Sie waren zum Lernen in München – Albert Weisgerber von 1897 bis 1914, Franz Helmut Becker von 1934 bis 1943, Hermann Sauter von 1910 bis 1912. Und sogar der Sandsteinbau im Norden Kaiserslauterns ähnelt im Stil der Alten Pinakothek.

Dies mag ein Grund für Rehhagel sein, die Pfalzgalerie zu meiden. Denn wer ihn auf die Zeit bei Bayern anspricht oder ihn nur entfernt daran erinnert, hat erst einmal verspielt – Game over! Rehhagel überspielt das Thema, wie es einer tut, der noch gar nicht an die Verarbeitung der erlittenen Wunden herangegangen ist. Gerade deshalb hatte er ja angenommen, als Freund Jürgen „Atze“ Friedrich lockte: „Bei uns darfst du wieder Otto sein!“

Im SWF-Sportmagazin „Flutlicht“ fragte ihn kürzlich ein Journalist, der schon dabei war, als Rehhagel 1966 bis 1972 auf dem Betzenberg noch den rustikalen Verteidiger gab, nach seinen Eindrücken von heute. „Es sind die alten Häuser, die alten Straßen und die alten Menschen, aber alle sind 30 Jahre älter geworden“, sagte der zum Trivialphilosophischen neigende Rehhagel.

Das ist nicht nur dahingesagt. Konsequent wie kein zweiter hat Rehhagel, seit er Anfang der achtziger Jahre Werder Bremen übernahm, sich und seine Uraltmethoden nicht weiterentwickelt. Wer sich an den meist langweiligen Beamten-Fußball der Grün-Weißen auch zu Meisterzeiten erinnert, wendet sich noch heute mit Grausen. Genau dieses Spiel-„System“ hat Rehhagel fünfzehn Jahre später dem 1.FCK aufoktroyiert. Kein schönes Spiel, fast nur Kampf und Krampf, ein bißchen Glück ab und zu – das war's. Zum Aufstieg wird's schon reichen.

Der betont jugendlich auftretende Rehhagel (58) ist vor allem eins: unbeirrbar. Die alte Schule lebt. Der 1.FCK hätte auch Friedel Rausch zurückholen können, die Strickart ist die gleiche: keine Experimente – wie zu Adenauers Zeiten. Beide sind der Vergangenheit verbunden und haben Angst vor dem Neuen und Unbekannten, Angst vor den Jungen, die ihnen bewußtmachen könnten, wie alt sie selbst aussehen.

Wenn Rehhagel auf die jungen Spieler des 1.FCK wie Thomas Riedl, Marco Reich und Pascal Karibe Ojigwe angesprochen wird, legt sich seine Stirn in Falten, die Augen ragen zur Decke oder gar gen Himmel, und seine Stimme hebt ab. Es ist wie einst in Bremen, wo er Klaus Fichtel, Manfred Burgsmüller und andere Oldies den Jungen vorzog, ohne daß es einer verstand. „Wer sagt denn, daß ich zu den Jungen kein Vertrauen habe?“ sagt Rehhagel zu einer solchen Frage und fühlt sich gleich wieder bedrängt und zu Unrecht kritisiert. Dann gleitet er ab in die Sphären der Peinlichkeiten: „Ich bin kein Thekentrainer und gegen jegliches Thekengeschwätz! Ich habe auch keine Angst vor Journalisten!“

Nein, Angst hat Otto Rehhagel nur davor, daß ihm und seiner Seelenlage jemand zu nahe kommt. Kein Blick links, kein Blick recht, immer geradeaus geht es, und wer gerade im Weg steht oder wessen Gesicht stört, wird zumindest verbal zur Seite geschubst. Keiner weiß, was in dem unnahbaren Trainer vor sich geht, nicht einmal die, mit denen er eigentlich eng zusammenarbeiten und die nächste Saison planen müßte zum Wohle des Vereins.

Ein routiniertes Team, das besser als der Rest der 2. Liga ist, muß keines sein, das in der Bundesliga bestehen kann. „Die Routiniers müssen das Schiff steuern“, ist aber Rehhagels Allwetter-Motto. Mit „Routinier“ meint er vor allem sich selbst und nur sich selbst. Dann kommt lange nichts. Will einer Mitverantwortung, wird er grantig wie ein wütender Diktator: „Es ist meine Entscheidung, ich bin lange genug dabei, und ich weiß schon, was ich mache!“

Wie lange noch? Unaufhaltsam naht die Zeit, in der Otto Rehhagel sich an seine Freundschaft zu Kaiserslautern und an die Schönheit der Landschaft zurückerinnern dürfen wird. Vielleicht wird er dann einmal die Muße finden, die einst – wie er – aus München in die Pfalz zurückgekehrten pfälzischen Maler zu bewundern. Und den Mut, ihr kreatives Schaffen mit seinem Lebenswerk zu vergleichen.

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