■ Vorschlag: Zuerst Manhattan, dann Berlin: Marisa Monte im Haus der Kulturen
Marisa Monte als „die aufregendste Stimme Brasiliens“ anzupreisen, mag ein bißchen fragwürdig anmuten, nachdem ihr Landsmann Edson Cordeiro, das ebenfalls brasilianische Stimmwunder, erst vor Wochen in Berlin sein voluminöses Organ erklingen ließ. Letztlich ist es mehr eine Frage der sexuellen Präferenz, ob man den lockigen Beau oder die juvenile Sängerin bevorzugt, entspricht doch Edson Cordeiro recht offensiv den Erwartungen einer homophilen Hörerschaft, während sich Marisa Monte nun, auf dem Cover ihrer neuesten CD, als barbusiges Comicstrip-Girl präsentiert – eine Reminiszenz an den unlängst verstorbenen populären Trash-Heftchen- Zeichner Caminha Zofiro, nicht zuletzt aber auch ein ironischer Kommentar zu ihrem Image, das irgendwo zwischen lusophonem Fräuleinwunder und Sexsymbol vom Zuckerhut anzusiedeln ist. Zu Unrecht.
Als „Muse des brasilianischen Pop“ gilt die 25jährige, dabei ist sie weit mehr als nur eine passable Interpretin von Stücken illustrer brasilianischer Musikidole wie Gilberto Gil, Caetano Veloso oder Carlinhos Brown. Marisa Monte ist, sowohl als Komponistin wie als Sängerin, eine virtuose Erneuererin der „Musica Popular do Brasil“, die, als sie vor acht Jahren mit einem Live-Album debütierte, nicht nur sich selbst damit in Superstar-Sphären katapultierte, sondern, nebenbei, auch dem brasilianischen Pop eine neue Zukunft eröffnete. Einfach so.
Geholfen hat ihr dabei, ein bißchen wenigstens, der New Yorker Avantgarde-Schrammler Arto Lindsay, der ihre letzten Alben produzierte und für hilfreiche Kontakte zu Kollegen wie David Byrne, Laurie Anderson und Ryuichi Sakamoto sorgte, für die Bündelung kreativer Modernität in einem Brainpool, der sich aus Quellen von Rio über New York bis Tokio speist. Marisa Montes Songstrukturen sind daher meilenweit entfernt von jedwedem authentisch-autistischem Samba-Folklore-Tralala, sie sind aber auch keine monströs konstruierten Kopfgeburten, sondern die Transformation brasilianischen Popkulturerbes in den State of the Art der Neunziger. Das ist durchdacht und vielschichtig, aber dennoch sehr eingängig, gefühlvoll und mit dieser gewissen Portion Lebensbejahung ausgestattet, die inbesondere im vitalen öffentlichen Vortrag zur Geltung kommt. Womit gesagt sein soll, daß ein solches Konzert gerade in unseren latent vitaminarmen Breitengraden das beste Mittel gegen drohende Winterdepression ist. Daniel Bax
Heute abend im Haus der Kulturen der Welt, Tiergarten, 20 Uhr
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