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Warten auf das Nichts

■ Das absolute Gegenteil von Entertainment: Soundartist Tricky in Berlin. Pärchen suchen Halt aneinander, küssen sich aus Verstörung oder zünden immer neue Joints

Menschen in der Adoleszenz machen oft seltsame Sachen. Sie gehen gern in „angesagte“ Läden, wo sie sich erst vom Türsteher demütigen lassen müssen, um drinnen dann von arroganten Kellnerinnen in schwarzen Latexkostümen wie Scheiße behandelt zu werden. Ein lausiges Bier kostet dann gewöhnlich acht Mark.

Ähnliches treibt solche Menschen auch in Konzerte von Tricky, einem Mann, der dafür bekannt ist, schon mal ganze Abende mit dem Rücken zum Publikum sein Repertoire herunterzuspulen, welches er mit Stücken füllt, die keiner je vorher gehört hat und meist auch nie wieder hören will. Ist es Masochismus, Selbstverachtung, Lust an der Demütigung? In Berlin zumindest schien Tricky gut drauf zu sein, schien er sich doch die meiste Zeit Richtung Auditorium zu wenden. Dummerweise war das von den hinteren Reihen nicht so genau zu erkennen, weil Tricky absichtsvoll darauf verzichtete, die vorderen Scheinwerfer anknipsen zu lassen. Bis zum Ende des Konzerts blieb die Tricky-Truppe im Dunkeln, und die einzelnen Bandmitglieder waren nurmehr als schemenhaft hüpfende Gestalten voneinander zu unterscheiden, rückwärtig mal in giftigem Grün, mal von phosphoreszierendem Blau angestrahlt.

Zudem benötigt Tricky einen ganzen Maschinenpark für seine düsteren Soundgetüme, was zwangsläufig für eine gewisse Statik der Auftritte sorgt. Ist Tricky aber eh egal. „Vielleicht sind sie gerade ein Bier trinken gegangen und lassen 'ne Platte laufen“, räsonnierte, etwas ratlos, eine Besucherin. Tatsächlich war häufig mehr Licht im Zuschauerraum als auf der Bühne, weil sich mehrere Grüppchen, um ein wärmendes Lagerfeuer gescharten Indianern gleich, ständig neue Joints anzündeten, wohl auch, um das Warten besser zu ertragen. Warten auf das Nichts. Denn bis auf das von Freundin Monika lasziv-morbid getönte „Overcome“ vom „Maxinquaye“-Debüt zertrümmerte Tricky in bester Laibach-Manier alles Wiedererkennbare – freilich nicht wie jene der vermeintlichen Entlarvung als vielmehr der simplen Lust an der Destruktion willen: Doomsday-Delirien.

Konfrontiert mit dieser Verweigerungstaktik, machte sich im Saal bald leichte Irritation breit: Manch einer blickte verstört in die Gegend, Pärchen suchten Halt aneinander und gaben sich in ihrer Verzweiflung inbrünstigen Küssen hin. Andere, ich zum Beispiel, schliefen zeitweise einfach ein, bis sie wieder durch die infernalische Lautstärke geweckt wurden, mit der Tricky im Hintergrund keuchend, scheppernd und krachend seine Psychosen über die Masse kippte. Ist das die „Pre-Millenium- Tension“, die Nervosität vor der Jahrtausendwende, die Tricky auch auf seinem neuen, so betitelten Album beschwören möchte? Ist Tricky ein Nihilist? Der das Publikum auf sich selbst zurückwirft, wissend: Die Hölle, das sind die anderen? Ein Visionär gar? Auf seinen bisherigen Alben durchaus, doch die hört man nach wie vor am besten nachts, alleine in der Einsamkeit eines Wagens, mit dem man durch die Autowaschanlage fährt. Auf der Bühne jedoch plagt Tricky das, was ein Kenner der Materie einmal treffend das Prince-Syndrom nannte: 300 halbfertige Stücke im Keller und den festen Vorsatz, diese, komme, was da wolle, auf die noch unpräparierte Menschheit loszulassen. Tricky-Konzerte gleichen blutigen Laborversuchen.

Ich verlasse vorzeitig den grausigen Ort und suche rasch die nächste Bar auf. Dort bestelle ich ein Bier für acht Mark, das mir eine arrogante Kellnerin im Latexkleid wortlos, und ohne mich dabei anzusehen, über die Hose schüttet. Daniel Bax

Weitere Konzerte: 6.12. Bielefeld, PC69; 7.12. Düsseldorf, Stahlwerk

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