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Anders leben in Buckow

„Hofje“ nennt sich ein Wohnprojekt im Berliner Süden. Seit 1995 leben dort alte und junge, behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammen  ■ Von Matthias Fink

Was befindet sich bloß in diesem Gebäude am Grauwackeweg in Buckow? Das blanke Behördenschild mit dem Berliner Wappen deutet auf ein Amt hin. Doch beim Lesen zeigt sich, daß es lediglich das Türschild einer Schiedsfrau ist. Die Straßenseite mit wenig Fenstern und das hohe Tor erwecken allerlei Assoziationen. „Wir sehen aus wie eine geschlossene Anstalt“, meint Karola Schragl, die seit Anfang 1995 in der Wohnanlage lebt. „Die Leute in der Siedlung nebenan fragen immer noch, ob hier nur körperlich und geistig Behinderte wohnen.“

Tatsächlich sind in dem zwei Jahre alten Komplex knapp vierzig MieterInnen zu Hause, die die Bevölkerungsstruktur besser widerspiegeln als manche Großsiedlung. Im „Hofje“ wohnt man „generationenübergreifend“. Es gibt drei Personen über siebzig, vierzehn Kinder, zwei Behinderte, Arbeitslose und Normalverdiener, Alleinerziehende und Familien.

Der Name des Wohnprojektes stammt aus dem Holländischen. In den Niederlanden gab es schon im 15. Jahrhundert „Hofjes“ als gemeinschaftliche Wohnanlagen. Auf dieses Modell bezog sich der Verein „Brückenschlag“, der das Projekt in Berlin aufgebaut hat. Ein weiteres „Hofje“ ist bereits in der Planung.

Charlotte Oberberg, eine der beiden Vorsitzenden des Vereins, meint, daß die Zeit von der Idee bis zur Verwirklichung bei ihrem Projekt noch vergleichsweise kurz gewesen sei. Die engagierte Seniorin erinnert sich an die Anfänge.

„Das war im August 1989. Der Berliner Mieterverein, Bezirksgruppe Kreuzberg, machte eine Versammlung zum Thema Wohnen im Alter. Da kam der Gedanke auf: Warum sollen die Älteren immer so ghettoartig untergebracht werden?“ Das war durchaus nicht nur im Interesse der SeniorInnen gedacht. „Auch Jüngere brauchen Hilfe, die ihnen Ältere geben können.“ Mit diesen Überlegungen begannen Charlotte Oberberg und Christiana Weber und suchten weitere MitstreiterInnen. Junge und Alte, Behinderte und Nichtbehinderte sollten in ihrem Projekt miteinander wohnen.

Im Februar 1990 wurde der Verein „Brückenschlag“ gegründet. Die Suche nach einem Grundstück war zunächst schwierig. Der damalige Neuköllner Baustadtrat Wolfgang Branoner (CDU) gab schließlich den Tip, es einmal bei der Siedlung am Schlierbacher Weg in Buckow zu versuchen. Die einfach gebaute Siedlung aus den 50er Jahren wurde damals von der landeseigenen Gesellschaft „Stadt und Land“ saniert. Diese Gesellschaft steht der Idee des Projektes sehr positiv gegenüber, berichtet Charlotte Oberberg.

Die meisten der früher sehr schlichten Reihenhäuser wirken durch gediegene Dachgeschoßausbauten heute auffällig in dem langweiligen Buckower Siedlungsbrei. Auffällig wirkt auf dem Gelände auch ein neuer Trakt mit Atelierwohnungen, der wie ein mit gebogenen Betonstreben abgestützter Güterschuppen aussieht. Das „Hofje“ selbst kann dagegen mehr mit inneren Reizen aufwarten. Der eigentliche Hof ist auf allen vier Seiten von einer Galerie umgeben, dem „Umlauf“. Den habe es bei den historischen Vorbildern nicht gegeben, erzählt Charlotte Oberberg stolz.

Bei dem Umbau der alten Trakte verschwanden dort die Treppenhäuser. Jetzt gelangen alle BewohnerInnen des Obergeschosses über die Galerie zu ihren Wohnungen. Begegnungen mit der Nachbarschaft sind vorprogrammiert. Gleichzeitig nutzt man den Umlauf aber auch zum gemütlichen Sitzen. Und es gab hier oben auch schon mal einen Trödelmarkt. Die Wohnungen liegen jeweils in einer Etage, zwei bis fünf Zimmer sind sie groß. Alles konzentriert sich auf den Hof, der mit seiner Begrünung eher ein Garten ist, auch wenn der zentrale Pavillon noch nicht allzu hoch umrankt ist.

Die verschiedenen Geschmäcker und Lebensformen der BewohnerInnen zeigen sich schon an den Dingen vor den Türen. Eine Gehhilfe steht einträchtig neben einem Ravensburger-Spiel. Trügt der harmonische Schein? „Manchmal ist es etwas laut, vor allem, wenn die Kinder mit ihren Fahrzeugen über das Pflaster im Hof fahren“, sagt Bewohnerin Evelyn Weber. Alle zwei Wochen ist die MieterInnenversammlung, identitätsstiftend „Hofje-Sitzung“ genannt. Solche Konflikte können hier geregelt werden.

Allzu große Herausforderungen hat die Gemeinschaft, vom Verein zusammenkomponiert, bisher nicht bestehen müssen. „Noch keine Wohnung ist wieder freigeworden“, sagt Charlotte Oberberg. Und Evelyn Weber erwähnt die recht fitten Senioren. „Alle sind sehr mobil. Wir haben noch gar keinen Pflegefall.“

In einem Faltblatt warnt der Verein vor der Illusion, er sei ein schlichtes Wohnungsvermittlungsunternehmen. Passive Mieter, die sich keinen Deut um ihre Nachbarschaft scheren, möchte man hier nicht haben. Aber im Verein mitarbeiten darf auch, wer nicht einziehen will. „Einige von unseren ordentlichen Mitgliedern wohnen selbst nicht im ,Hofje‘. Sie möchten aber die Idee aktiv unterstützen“, erzählt Charlotte Oberberg.

Auch sie selbst hat sich doch nicht in ihrem Projekt niedergelassen, sondern blieb mit ihrem Mann in einer Seniorenwohnanlage in Kreuzberg.

Aber einige Mieter, erzählt Karola Schragl, „haben supertolle Wohnungen aufgegeben“, um ins „Hofje“ zu ziehen. Sie selbst wohnte „ein Haus weiter“ in der Siedlung. In einer Mieterversammlung stieß sie auf den Verein, trat ein und bewarb sich um eine Wohnung. „Später stellte sich heraus, daß sie genau vor meinem Haus bauten.“

Evelyn Weber wohnte in der Stadt am Chamissoplatz. Doch eigentlich ist sie im Berliner Süden zu Hause. Im „Hofje“ fühlt sie sich schon deshalb wohl. Und doch: ihre Kreuzberger Food-Coop vermißt sie. Wäre es nicht möglich, überlegt sie, in dem bisher ungenutzten Gemeinschaftskeller so etwas einzurichten?

Außenwirkung ist für die „Hofje“-BewohnerInnen wichtig. Mit Handzetteln schwärmt schon mal jemand aus, um die Nachbarschaft auf Veranstaltungen aufmerksam zu machen wie Hausaufgabenbetreuung, Kindernachmittage mit Spiel-Bastel-Koch-Angeboten, Gedächtnistraining oder Info- Abende zur Pflegeversicherung. Nachdrücklich ist Evelyn Weber die Spezialistentagung zum Thema „Mieterprobleme“ in Erinnerung: „Da ham se uns hier die Bude einjerannt.“ So ein Service stärkt die Kontakte zu den angestammten BewohnerInnen der restlichen Siedlung, die nach der Sanierung überwiegend wieder in die alten Gebäude gezogen sind.

Die Angebote an die Öffentlichkeit machen die „Hofje“-BewohnerInnen nicht nur aus Idealismus. Denn die Zuschüsse für den Gemeinschaftsraum fließen nur so lange, wie er auch für die Öffentlichkeit genutzt wird. Aber der Medienrummel scheint den „Hofje“-Leuten trotzdem etwas nervig geworden zu sein – sogar aus Schottland war schon ein Fernsehteam da. Und andauernd mag schließlich nicht jeder eine Fotografin in die Küche lassen. Und einmal kam das Fernsehen, als Karola Schragl nicht zu Hause war. „Eine Nachbarin erzählte mir danach, sie habe extra bei mir das Unkraut rausgezogen. Und ich war so stolz auf meine bodendeckenden Pflanzen!“

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