Das Portrait
: Literarischer Wendehals

■ Marin Sorescu

„Es kommt eine Zeit / da müssen wir einen schwarzen Strich / unter uns ziehen / und die Rechnung machen / Ein paar Augenblicke, wo wir glücklich waren / ein paar Augenblicke, wo wir beinahe schön waren / ein par Augenblicke, wo wir beinahe genial waren / [...] All das zusammengenommen ergibt eine lichtvolle Zukunft – die wir gelebt haben.“ Dieses Gedicht schrieb der bekannte rumänische Dichter Marin Sorescu. Am Sonntag starb er im Alter von 60 Jahren an Leberkrebs.

Sorescu gehörte in den 60er Jahren zu der jungen Poetengeneration, die von der relativen Öffnung des Regimes profitiert hatte. Gegen das Regime wagte keiner seine Stimme zu erheben. Auch Sorescu nicht, der sich nach der Wende gern als Verfogter der Ceausescu-Zeit präsentierte. Sorescu entwickelte sich in den 70er und 80er Jahren zu einem unübertrefflichen Meister der Anpassung, der paradoxerweise im Rufe eines literarischen Bilderstürmers stand. Seine politische Zurückhaltung belohnte das Regime mit vielen Auslandsreisen. Anfang der 80er Jahre geriet er ins Visier des Geheimdienstes Securitate, weil er mit anderen Intellektuellen an Zusammenkünften von Anhängern der als staatsfeindlich dämonisierten „Transzendentalen Meditation“ teilgenommen hatte. Mit einem Lobgedicht auf die Landesfahne erschmeichelte er sich erneut das Wohlwollen des Diktatorenpaares. Auch seinen Posten als Chefredakteur einer Literaturzeitschrift durfte er behalten. Gleich nach dem Umbruch ergriff Sorescu Partei für Ion Iliescu und die aus der Nomenklatura hervorgegangene Front zur Nationalen Rettung. Für seine Unterstützung der neuen Machthaber wurde Sorescu 1993 mit dem Posten des Kulturministers belohnt.

Noch im Sommer 1992, als das Fernsehen das politische Comeback des kompromittierten Hofdichters Adrian Paunescu einleitete, hatte Sorescu moralische Schützenhilfe geleistet. Scheinheilig bezeichnete er ihn als „Opfer der Wende“. Für seine Ergebenheit betraute ihn das Regime mit der Herausgabe einer „unpolitischen“ Literaturzeitschrift. Er verließ das Kabinett nach kurzer Zeit mit der Begründung, sich der Literatur widmen zu wollen. Vielleicht war er aber auch nicht mit seinen Mitarbeitern – alles ehemalige Hofschranzen – zurechtgekommen. „Kreist die Materie langsamer? / Jemandem stieß ein Unglück zu / und er will nicht weinen.“ William Totok