: Lamettafachfräsers traurigstes Fest Von Susanne Fischer
Manchen Leuten reicht es Weihnachten so ziemlich. Für ihre Umgebung eher überraschend, rotten sie plötzlich ihre Familien mit vergifteten Kringeln aus oder prügeln sie mit Gänsekeulen die Straße hinunter. Meist sind diese Menschen Männer, die in bekannter Bescheidenheit mal kurz für den Rest ihrer Sippschaft mitentscheiden, daß das Leben keinen Sinn mehr habe. Das ist nicht schön, aber ahnt man eigentlich, warum diese bedauernswerten Tötebolde nur noch gewaltsamen Umgang mit ihrer Verwandtschaft pflegen wollen? Schulden? Eifersucht? Christliche Wahnvorstellungen? Nein, daran glaube ich nicht. So was hat doch heute beinahe jeder und bietet trotzdem der keuchenden alten Hexe von gegenüber im Bus noch einen Sitzplatz an. Ich denke eher, daß diese Menschen zum Beispiel furchtbare Berufe haben, die ihnen zu viel Einblick in das Elend der Menschheit gewähren. Da wäre einmal die Lamettafabrik, eine schäbige Klitsche am Rande einer faden Kleinstadt. Im Hochsommer wird auf Teufel komm raus Lametta gefräst, damit zum Ersten Advent alles klargeht. Davon läßt sich aber nicht leben, schon weil es genug Kunden wie meine Oma gibt, die am Dreikönigstag den Baum abschmücken, das Lametta einsammeln, aufbügeln und gut verpackt in den nächsten Winter retten. Folglich muß unser Lamettafachfräser im Winter blausilberne, glitzernde Girlanden produzieren, die jeden Freiluft-Gebrauchtwagenhandel zieren. Zu kaufen gibt es das absatzfördernde Produkt im Freiluft-Gebrauchtwagenhandel-Bedarfsmarkt gleich neben den Ketten aus europäischen Wimpeln, die zwischen die Girlanden gespannt werden und sicherlich in einer anderen Kleinstfabrik mit liebevoller Sorgfalt von Depressiven hergestellt werden. Vielleicht könnte sich der Lamettafräser, der Wimpelkettenschneider und der Bedarfsmarktleiter dahingehend einigen, den Anhang der jeweils anderen auszurotten, um der Welt zumindest ein Rätsel zu hinterlassen. Möglicherweise arbeiten die Familienvernichter aber auch in Futtermittelfabriken. Das dürfte an sich schon den Glauben an die Erlösbarkeit der Welt erheblich schmälern. Was aber, wenn plötzlich der Marketingchef auf den Tisch haut und brüllt: „Ich hab's! Wir kreieren ein Weihnachtsmenü für Katzen!“ Dann stehen unsere Amokkandidaten da und können es nicht glauben. Von der Erlösbarkeit der Katzen war in ihrem Kindergottesdienst nie die Rede. Die Tierfutterabfüller haben Schulden, sind eifersüchtig, leiden unter christlichen Wahnvorstellungen und der Erhöhung ihrer Rentenbeiträge, und irgendein Lackschnösel erfindet nun zu allem Überfluß das „Sheba-Weihnachtsmenü für Katzen“.
Woraus wahrscheinlich folgt, daß sich unsere potentiellen Killer in der Vorweihnachtszeit damit beschäftigen müssen, goldene Sternchen auf Futterdosen für Mäusemörder zu kleben. Der Neid flüstert ihnen ein, daß die kleinen, atheistischen Miestviecher von ihren Frauchen ein besseres Weihnachtsmahl vorgesetzt bekommen als sie selbst von ihrer ausrottbaren Frau. Und schon ist's passiert.
Deshalb schlage ich vor, daß Frauchen die Geburt des Herren statt mit Dosenfutter lieber mit einem frischgekauften Kanarienvogel würdigen sollte. Oder mit einer Kanarienvogelfamilie.
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