: „Wie Hamburg ohne Michel“
Das traditionsreiche Hamburger Hafenkrankenhaus soll geschlossen werden. Doch der Protest eint die Hanseaten: von Ralf-Peter Krause bis Heidi Kabel ■ Von Florian Gless
Die Läden um die Ecke heißen „Amigo-Bar“, „Tanz der Puppen“ oder „Sexy Land“. Doch sexy ist auf St. Pauli an diesem grauen Dezembermorgen gar nichts. Die tausend bunten Glühbirnen blinken erst nach Sonnenuntergang. Die Bürgersteige sind leer, die Straße auch. Ein Schild weist auf die Zeit erhöhter Unfallgefahr hin: 19.00 bis 6.00 Uhr. Nachts ist hier mehr los. Nachts, wenn alles wach ist auf St. Pauli.
„Joa, morgens ist das noch ruhig hier“, sagt Ralf-Peter Krause, ein Mann, der aussieht, wie man wohl aussehen muß, wenn man Krankenpfleger ist, wo der Kiez gleich um die Ecke liegt: zwei Zentner, Schnauzbart und ein Ehering, der das Fleisch am Ringfinger einschnürt.
Seit drei Jahren ist Krause Personalratsvorsitzender im Hamburger Hafenkrankenhaus, eine Minute von der Reeperbahn entfernt. Und das heißt was. Als ein Kollege in das Büro tritt, begrüßt Krause ihn: „Mensch, Hans, weiß du was? Der Typ mit der Pistole, den ich gestern rausgeschmissen hab, der hat mich angezeigt. So 'n Arschloch.“
Da war also dieser Mann, erzählt Krause nicht ohne Genuß, der wollte seine Freundin besuchen „und war 'n bißchen alkoholisiert“. So wie er das sagt, ist klar: der Mann war stockbesoffen. „Und dann brüllte er immer, er wolle alle abballern. Da hab' ich gefragt, wo is'n deine Pistole? Zeig doch mal! Und als er das nicht wollte, hab ich ihn am Hosenbund genommen.“ Und dann fügt er noch hinzu: „Ich bin ja 'ne etwas kräftigere Erscheinung.“
Wenn ein Mann wie Ralf-Peter Krause wütend wird, hat sein Gegner kein leichtes Spiel. Und Ralf- Peter Krause ist wütend, „unheimlich wütend“ sogar. Denn sein Arbeitsplatz – und der von 469 Kollegen – soll im März nächsten Jahres verschwinden. Krause weiß noch genau, wie das war, vor vier Wochen, am 11. November: „Joa, da war Fasching, genau, das war's. Da hat sich der Vorstandsvorsitzende hingesetzt und gesagt, daß er beim Aufsichtsrat die Schließung des Hafenkrankenhauses beantragt hat. Dann hat er noch gesagt, wenn es durch irgendwelche Proteste zu einer Verzögerung käme, sähe er sich nicht in der Lage, die Kollegen alle woanders unterzubringen. Da war'n wir erst mal ziemlich sprachlos.“
130 Millionen Mark hat der Hamburger Landesbetrieb Krankenhäuser in diesem Jahr bei den Krankenkassen anschreiben lassen. Ein Verlust, der irgendwie aufgefangen werden muß. Der Landesbetrieb stellte daher ein „Fit-Programm“ auf, das überall Einsparungen vorsieht. Sparziel: 70 Millionen. Die dann noch fehlenden 60 Millionen sollen durch die Zusammenlegung zweier Krankenhäuser und die Schließung des kleinsten Betriebes, eben des Hafenkrankenhauses, zusammengekratzt werden. Morgen entscheidet der Aufsichtsrat unter Vorsitz der Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel endgültig über die Schließung.
„Daß ausgerechnet wir dichtmachen sollen, versteht hier keiner“, sagt Ralf-Peter Krause, „schließlich arbeiten wir wirtschaftlich.“ Das Jahresbudget von 45 Millionen Mark sei 1996 nur leicht überschritten worden. Außerdem habe das Krankenhaus im Juni ein Konzept vorgelegt, mit dem bis zu zehn Millionen Mark pro Jahr gespart werden sollen. „Und dann reden die immer von 150 Millionen, die für die Sanierung hier vorgesehen seien!“ Krause lacht: „Das war Geld, das über 20 Jahre hinweg geplant war und einen kompletten Neubau vorsah! Für eine Sanierung bräuchten wir 9 bis 15 Millionen – und das nicht mal dringend!“
Tatsächlich machen die Häuser 1 („Medizinische Abteilung“) bis 9 („Telefonzentrale/Pforte“) nicht den Eindruck, als ob sie bald zusammenfielen. Das kleine Sammelsurium aus Gründerzeit- und 70er-Jahre-Bauten liegt verstreut in einem kleinen Park, rund um einen – wie es auf der Hinweistafel heißt – „antiken Handelssegler des Mittelmeerraums aus der Zeit um 400 v. Chr., nachgebaut im Maßstab 1:2 durch Dr. Hans Braemer“. „Der war hier mal Patient“, erklärt Krause. Immerhin verdankt das Hafenkrankenhaus diesem Bötchen die einzige sichtbare Verbindung zum Hafen. Der Blick gen Süden – also in Richtung Welthafen – ist verbaut durch das Institut für Tropenmedizin und eine riesige Brauerei. „Aber die zieht bald um“, sagt Krause. Dann stehen rund um das Hafenkrankenhaus mehrere Gebäude leer: Neben der Brauerei noch eine Bowlingbahn und ein Autohandel, beide gegenüber in Richtung Reeperbahn. Das alles in einer Traumlage mitten in der Hansestadt. Der Wert des Grundstücks, auf dem das Krankenhaus steht, wird auf 200 Millionen Mark geschätzt.
Für die Patienten in Zimmer F-07 ist die Sache klar: „Das wird alles verscherbelt!“ Günter Harms, der mit seinen hohen Wangenknochen und seiner Hornbrille an Gregory Peck erinnert, hat gerade eine neue Hüfte bekommen – „das ist ja 'ne Spezialität hier“ – und ärgert sich auf gut Hamburgerisch: „Ich sach immer, unsere beiden Süßen, ne, Seehofer und Blümchen, ne, die sparen, und das geht dann auf die Kleinen.“ „Und außerdem“, so sein Bettnachbar, der zwölf Meter tief vom Dach gefallen ist, „geht das doch nur noch ums Geschäft. Auch wenn das alles nur Gerüchte sind ...“ Diese Gerüchte geistern durch all die langen Flure der Stationen. Es geht um Immobilien-geschäfte, um geplante Apartments, um einen schwerreichen Hamburger Makler. „Aber beweis das mal!“ beschwert sich Günter Harms.
Auch die Hamburger Zeitungen waren in dieser Hinsicht bisher erfolglos, dabei berichten sie täglich über das traditionsreiche Haus. Das Hafenkrankenhaus gilt als eines der Wahrzeichen der Hansestadt. Hans Albers drehte hier „Große Freiheit Nr. 7“ und fühlte sich sichtbar wohl. Als er im Film seinen sterbenden Bruder besucht, bemerkt er: „Du, das ist ja alles so schön gekachelt hier!“ Gegen die Schließung hat sich eine breite Protestfront gebildet. Einer Bürgerinitiative mit dem Namen „Ein Stadtteil steht auf“ gehören sämtliche Lokalgrößen an, von Heidi Kabel über den FC St. Pauli bis zu Lilo Wanders. Überall in der Stadt hängen Plakate und Bettlaken („Das Hafenkrankenhaus darf nicht sterben!“). Anfang Dezember veranstaltete Hauptpastor Helge Adolphsen im Michel eine Zusammenkunft, an der 800 Menschen teilnahmen. „Das hat die Leute zusammengeschweißt“, berichtet Ralf-Peter Krause gerade, als Monika Olschewski in sein Büro stürmt. Ihr Job sind Magenspiegelungen, nebenbei kümmert sie sich jetzt um die Unterschriftenlisten: „Die Leute wollen alle unterschreiben, und wir haben nicht genug Bretter.“ Als sie wieder draußen ist, bemerkt Krause: „Sie hat die meisten Unterschriften gebracht, das muß man sagen.“
Insgesamt sind es bisher 23.000, die am Montag dem Regierenden Bürgermeister Henning Voscherau übergeben worden sind. Am heutigen Mittwoch wird im Rahmen eines Aktionstages gegen Seehofers Sparpläne mit Kundgebungen und einer Demonstration für das Krankenhaus gekämpft. Auch in Zimmer F-07 ist man entsetzt: „Hamburg ohne Hafenkrankenhaus, das ist wie Hamburg ohne Michel“, sagt Günter Harms. Und der langhaarige Kranke von gegenüber ergänzt: „Wie wenn du dem Kiez den Puff wegnimmst.“
Das Krankenhaus müsse unbedingt erhalten bleiben, denn „die Leute, die hier reinkommen“, so Günter Harms, „die werden aufgenommen ohne Wenn und Aber. Das ist eine Klasse hier, völlig egal, ob da 'n Penner kommt oder 'n Reicher – oder 'n Ausländer.“ Insofern hat auch der junge Kolumbianer Glück, den Dr. Wolfgang Wagner gerade untersucht hat. Wagner ist ein stiller, nachdenklicher Mensch, hager, silberhaarig, mit randloser Brille. Und, verrät Ralf-Peter Krause später, „er ist der einzige hier, der Einrad fahren kann“. Der Anästhesist berichtet von dem Kolumbianer mit kaputtem Bein, den ein benachbartes Privatkrankenhaus gerade abgewiesen hat: „Er hatte angegeben, er würde bar bezahlen, aber das konnte er nicht. Also haben sie ihm 150 Mark für die Röntgenbilder abgenommen und ihn nach Hause geschickt.“ Mit schmerzverzerrten Gesicht meldete sich der Mann dann an der Pforte des Hafenkrankenhauses. Wagner: „Der muß operiert werden. Wenn wir ihn wegschicken, dann verkrüppelt er.“ Geschätzte Kosten der Operation: 15.000 Mark. „Solche Kosten trägt dann das Haus, aber was sollen wir machen?“
So wie mit dem Kolumbianer geht es im Hafenkrankenhaus auch mit Obdachlosen oder Junkies. Abgewiesen wird niemand. Auch nicht Dimitrii Brüchow, der sonst bei den Landungsbrücken auf der Straße lebt. Wenn er sich nicht hierher geschleppt hätte, wäre er wohl nicht mehr am Leben. „Zwei Liter neues Blut hab' ich bekommen, sonst wär' ich abgeklappt, echt! Und dann mein linker Arm – alles faules Fleisch.“ Ein Arzt, der lieber nicht genannt werden möchte, weiß: „Solche Patienten kommen nur hier unter.“ Das sieht auch auch Erika Likuski aus Zimmer H-08 so. Sie wurde, wie sie gerne erzählt, im noblen Blankenese geboren, und als eine Verwandte vor Schreck die Hände vors Gesicht schlug – „O Gott, du gehst ins Hafenkrankenhaus!“ –, antwortete sie nur: „Du, das ist so spannend da!“
13.500 Notfälle werden pro Jahr ambulant versorgt, dreimal so viele wie stationär. Ein Viertel davon kommt zu Fuß, meistens direkt vom Kiez, vom Hafen oder vom in der Nähe liegenden Heiligengeistfeld, wenn „Dom“ – also Jahrmarkt – ist.
Der Kiez würde immer brutaler, erzählt Krause: Kürzlich hätten zwei Philippinos einen Pakistani in einer Telefonzelle niedergestochen, nur weil sie telefonieren wollten. Solche Verletzten würden es anderswohin gar nicht mehr schaffen: „Das ist doch eine unserer wichtigsten Funktionen, die schnelle Versorgung hier, wo es brennt“. Und das vor allem nachts, wenn alles wach ist auf St. Pauli.
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