: Medien an der kurzen Leine
■ Wie, zu welchem Zweck und an welchen Stellen wird in Hamburg Medienpolitik betrieben? Die Vorgänge um die Filmförderung zeigen: Es geht erst in zweiter Linie um kulturelle Vielfalt
„Das ist Stamokap, staatsmonopolistischer Kapitalismus in Reinkultur!“ Seitdem klar ist, daß Torsten Teichert (SPD) der in Gründung befindlichen Filmförderungs-GmbH nicht vorstehen wird, nimmt der Chef des Hamburger Filmbüros kein Blatt mehr vor den Mund, wenn die Rede auf die Verstaatlichung der Hamburger Filmförderung kommt. Monatelang wurde vor und hinter den Kulissen von Senat, Filmszene und Medienkonzernen erbittert gerungen, bis sich, so Teichert, am 31. Januar 1995 Thomas Mirow, Chef der Senatskanzlei und zuständig für Medienfragen, mit einem Senatsbeschluß zur Gründung der stadtstaatlichen Filmförderungs-GmbH und der Einsetzung eines handverlesenen Aufsichtsrates durchsetzen konnte. Für Teichert bestätigt sich damit erneut jener Kurs innerhalb der bundesdeutschen SPD-Medienpolitik, welcher die Förderung großer Konzerne, in Hamburg etwa Bertelsmann, Springer, Leo Kirch, zur obersten Handlungsmaxime macht und dafür bedenkenlos kulturpolitische Nischen opfert.
Den mit 19 Millionen Mark unverändert schmächtigen Jahresetat, früher zu 50 Prozent von der Filmszene per Filmbüro selbstverwaltet, kontrollieren heute gleich drei SenatorInnen (Mirow/Medien, Weiss/Kultur, Rittershaus/Wirtschaft). Dazu kommt neben den Schwergewichten NDR-Chef Jobst Plog und Bertelsmann-Aufsichtsrat Manfred Lahnstein eine Reihe mehr oder weniger vom Hamburger Mediengroßbetrieb „Studio Hamburg“ (Chef ist die CDU-Eminenz Martin Willich) abhängigen SozialdemokratInnen und Filmmittelständler. Mirow bastelte damit ein kartellartiges Konstrukt, das den NDR, Medienmacht, Voscherau-Abhängige, die CDU und zwei SenatorInnen auf wundersame Weise vereint und brav an die Leine von ihm selbst und Medienkonzernen (hier: Studio Hamburg, Bertelsmann, NDR) legt.
Selbst das sonst so betuliche Hamburger Abendblatt sah sich zur Feststellung gezwungen, hier hätten „Politik und Fernsehwirtschaft im lückenlosen Schulterschluß die Posten untereinander verteilt“. Auch diese bissige Analyse streift den eigentlichen Skandal nur am Rande. Die bitterböse Posse um die Gleichschaltung der Hamburger Filmförderung ist lediglich die klitzekleine Spitze eines medienpolitischen Eisberges, mit welchem eine Nachwuchsgarde ehrgeiziger SPD-Politiker das große Medienkapital und die Sozialdemokratie zu versöhnen sucht.
Nachdem in den 80ern Hamburgs damaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den privaten Medien die Tür zum Schlaraffenland Deutschland aufstieß, setzte vor allem der Sozialdemokrat Wolfgang Clement in Nordrhein-Westfalen Zeichen. Ob Vox-Pleite oder das gigantomanische, höchstsubventionierte Medienzentrum in Köln – immer saß Clement am Drücker. Die SPD spekuliert dabei auf Bertelsmann, Time Warner, Disney und Medienmogul Murdoch, ein Viergestirn, von dem sie sich Hilfe gegen Kohls Kirch-Imperium erhofft.
Clements geistiger Bruder an der Elbe heißt Thomas Mirow, einst – wen wundert's? – Dohnanyis Sprecher und Chefberater. Mirow gehört zu jener neuen Generation von SPD-Machern, die – bar jeden Stallgeruchs und jeder traditionellen Ethik – Wirtschaftsnähe mit Modernität verwechseln und auch nichts mit den vom 68er-Geist angehauchten Enkeln Willy Brandts gemein haben. Das Ansinnen etwa, in den GmbH-Aufsichtsrat auch die angesehene freie Cutterin Ursula Höf einzubauen, bügelte Mirow mit dem Hinweis ab, eine „Gewerkschafts- und Verbandsfrau“ komme für ihn überhaupt nicht in Betracht. Um so heftiger dagegen hofiert der Senat Meinungsmonopolisten wie den Springer-Konzern oder Gruner & Jahr.
Unter der segnenden Hand des Stadtchefs Voscherau ist Mirow seit 1991 für Medienpolitik zuständig. Mirow baut seine Macht behutsam aus. Auch in Sachen Filmförderung hielt er lange still. Die Gelegenheit zur Attacke kam im Frühjahr 1994, als die Stadtkasse ihren nackten Boden zeigte und eine Spardiskussion veranlaßte, die sich schnell den Kulturtöpfen zuwandte. Während Bayern, Berlin/Brandenburg und Nordrhein-Westfalen ihre Filmförderung aufstockten, plante Hamburgs Senat eine Halbierung der Mittel. Der „glatte Durchmarsch“ gelang Mirow, so Teichert, anschließend mit einem unmißverständlichen „Wir geben euch das Geld und nehmen uns dafür die Macht“. Hamburg ließ sich die Rücknahme der Kürzung mit der Gründung der stadtstaatlichen Filmförderungs-GmbH teuer bezahlen.
Kein Wunder, daß unabhängige Beobachter der Ankündigung des Hamburger Senats, die neue Filmförderung werde erstmals auch das Fernsehen bedenken, den „Hamburg-Effekt“ stärken und größeres Gewicht auf „wirtschaftlich erfolgversprechende Filme“ legen, vollsten Glauben schenken. Mirow beerdigte so ein Experiment, mit dem 1979 SPD-Bürgermeister Hans-Ulrich Klose Zeichen in Sachen kultureller Selbstverwaltung setzte. Klose damals stolz: „Der Gewinn ist kein unmittelbar wirtschaftlicher, sondern ein Gewinn für die Atmosphäre. Ökonomischen Gewinn versprechen wir uns absolut keinen.“ Sogar Henning Voscherau lobte noch 1990: „Das Prinzip der Selbstverwaltung überzeugt mich. Hamburg ist stolz darauf, daß es hier ein Zeichen setzen konnte, ein Zeichen in Liberalität.“
Mit der Liberalität könnte bald Schluß sein. Zwar wird sich, so meinen Insider, die Filmförderung nicht schlagartig von der bisherigen, auf Qualität und Kreativität setzenden Förderpraxis verabschieden, unabhängig auch davon, wen Mirow als Chef der Filmförderungs-GmbH absegnet – die Entscheidung wird in Kürze fallen. Taktiker Mirow ist weit wichtiger, die unternehmensrechtlichen und personalpolitischen Grundlagen für Ausbau und Fortsetzung seiner stromlinienförmig machtorientierten Medienpolitik gelegt zu haben.
Florian Marten
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