: Kopf-ab-Mentalität -betr.: "Friedenspolitik in der Urlaubsfalle", taz vom 16.3.1995
Betr.: „Friedenspolitik in der Urlaubsfalle“, 16.3.1995
Wirklich, mir kommen die Tränen. Da plotten die bösen Realos im Landesvorstand eine Veränderung der „friedenspolitischen Beschlußlage“ und „schwarz grüne Bündnisse“ unter heimtückischer Umgehung aller redlichen Nicht-Realos. Was für ein Glück, daß da bald die Basis wieder für Ordnung sorgen wird. Was für ein Glück auch, daß wir die taz hamburg haben, die diese Gemeinheiten jedes Mal aufdeckt. Zwar unter Verdrehung einiger Fakten, aber das macht ja fast gar nichts.
Rainer Mehl arbeitet seit Anfang dieses Jahres in Berlin und hat seitdem an keiner Landesvorstandssitzung mehr teilgenommen. Tina Rosenbusch ist meines Wissens nach nicht im Urlaub, sondern mit Prüfungen beschäftigt. Beide sind alles andere als „nicht blockgebunden“ oder „Nicht Realos“. Letztere Charakterisierung ist mir sowieso neu, aber soweit ist es halt mit den Genossen Linken und ZAS gekommen, daß sie sich negativ definieren, als etwas, das sie nicht sind.
Ich selber habe an der Debatte über den Ostermarschaufruf gar nicht teilgenommen, weil ich bei der fraglichen Sitzung früher nach Hause mußte. Hätte ich als Zugehörige des gescholtenen realpolitischen Flügels irgendwelchen Beschlüssen zur Mehrheit verhelfen wollen, hätte ich das gewiß anders eingerichtet. Also hat am Ende etwas stattgefunden, was in diesem Gremium in seiner ausgewogenen Rechts-Links-Zusammensetzung alle naselang passiert: Mal haben die einen Mehrheit, mal die, mal sind sich alle einig. Soviel zum Formalen.
Viel schlimmer finde ich die Kopf-ab-Mentalität, mit der in der GAL abweichende Meinungen sofort bestraft werden. An dieser Stelle kommt sie mal wieder zum Ausbruch, und Jürgen Oetting berichtet mit Genugtuung über die personellen Konsequenzen. Daß die von Lutz Jobst beklagten „Tabubrüche“ (mitunter auch über das Ziel hinausgeschossen) für eine Partei lebensnotwendig sind, will sie nicht geistig vergreisen, ist bei zu vielen einfach nicht angekommen. Eine veränderte Welt erfordert nunmal Nachdenken in bisher ungewohnte Richtungen und veränderte Antworten auf viele Fragen, das gilt nicht nur in der Friedenspolitik. Da auf die Beschlußlage der Partei zu pochen, und so die Auseinandersetzung zu beenden, bevor sie begonnen hat, ist wenig hilfreich. Wohin das mitunter führt, haben wir ja an der SED beobachten können, und nicht nur dort.
Bettina Kähler, Mitglied des Landesvorstands
Bündnis 90/ GAL/ Die Grünen
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