: „Also bitte, da sind keine Penisse“
■ Paul McCarthy über Männer, Bäume und Gummi
Der Liebe verlustig gegangene Stofftiere, kopulierende Maschinen und Heidis Alpenhütte, allerdings etwas anders, als das romantisierende Bild es gerne hätte: Die Ausstellung der Amerikaner Paul McCarthy und Mike Kelly, die morgen im Kunstverein eröffnet wird, nimmt zwischen privater Performance und Punk, programmatischer Perfidie und Plastik die Mediengesellschaft aufs Korn und öffnet die Abgründe der Triebstruktur der westlichen Zivilisation. Wir sprachen mit Paul McCarthy, dem 50jährigen Künstler aus Los Angeles, dessen großer Einfluß auf die kalifornische Kunstszene nicht nur mit einem Revival der Kunstansätze der 70er Jahre zu erklären ist.
taz: Viele stört die sexuelle Komponente ihrer Arbeit: Penisse et cetara. Ist das ein neues Körperbewußtsein oder der letzte Trick, Publikum zur Kunst zu locken?
Paul McCarthy: Also bitte, da sind keine Penisse, nur Formen aus Gummi. Wenn jemand fragt: Warum fickt da ein Mann einen Baum? kann ich nur sagen, da ist kein Baum und kein Mann, nur Plastik. Und da ist auch kein Penis, sondern nur eine Maschine. Es mag sein, daß ich möglicherweise an realen Männern, die es mit Bäumen treiben, interessiert bin, aber egal, ob oder ob nicht, das ist es nicht, was da zu sehen ist. Es geht mir zum Beispiel um die mechanische Art von Bewegung, um die absurde Art der Beschäftigung, diesen Selbstbezug, den Hollywood hat, während es die Welt mit Bildern versorgt. Und ich verleugne auch nicht, daß da schon eine Art von Provokation in meiner Arbeit ist. Aber bedenken Sie, wie total die Medienkultur, besonders die Werbung, den Sex benutzt, das finde ich wirklich kritisch.
So mitten aus dem Herz Hollywoods heraus zeigen sie mit ihrer Kunst, was hinter den Glanzfolien dieser Bilderfabrik steckt.
Das ist ein ziemlich harter Versuch. Ich bin schließlich nur ein einfacher Künstler. Wer weiß schon immer, was dahinter steckt. Bei Heidi geht es nicht nur um europäische Idyllen und nicht nur um die amerikanische Variante davon. Es geht auch um die ganze Familienstruktur, Patriotismus, Inzest und Horrorfilme. Die Leute mögen vielleicht nur eine Ebene des Bezugs sehen, aber für mich muß Kunst immer mehrere Ebenen haben.
Sie haben mit jungen Schauspielern und einem Team, das sonst Softpornos für den „Playboy“ filmt, die legendären Videotapes von Vito Acconci aus den 70ern in aktueller Opulenz neu aufgenommen. Muß Kunst alle 20 Jahre neu inszeniert werden?
Wir spielen mit den Ideen, wir machen ein Up-date, frisch und neu. Man glaubt ja gar nicht, daß das geht. Acconcis Aktionen waren ganz privat. Aber eigentlich kann jeder es machen. Junge Liebende in einem netten Haus machen Vito Acconci . . . Es geht um die Attitüde.
Müssen wir alles nach 20 Jahren recyceln?
Im Musikbusineß ist das ja so. Aber der Begriff Aneignung ist nicht die zentrale Idee. Es ist mehr das Spiel mit der Veränderung des ganzen Kontextes. Die Tapes, auf die wir uns beziehen, sind übrigens nahezu unbekannt.
Das scheint mir so ähnlich wie Ihr damaliger Bezug auf Yves Klein, der Ende der 60er Jahre nur gerüchteweise an der Kunstschule von Utah bekannt war.
Ja, etwas davon, etwas von Mode, etwas vom Jugendkult, etwas vom Spiel mit der Heiligkeit von Kunst, etwas von der Übertragung von Privatheit.
Ihre frühen Performances waren auch sehr privat, mit allen diesen Körperflüssigkeiten. Sie haben immer die patriarchalischen Strukturen angeprangert, den Familienterror, die Gewalt gegen Kinder und gegen die Natur.
Ja, es geht mir um die Konditionierungen, die mitunter so absurd werden, daß sie zu Selbstzerstörung führen, des Individuums und der ganzen Kultur. Ein System, das korrekt erscheint, in Wahrheit aber absurd ist.
In Disney-Land reden die Wände, ein Spaß, der mir wie ein Horror vorkommt.
Oh, auch ich arbeite an redenden Objekten. Während meiner Performances habe ich immer pausenlos geredet. Dann kamen die Roboter als Ersatz für die Aktionen. Die sollen dann auch reden. Aber eine einzige Disney-Figur kostet über 60.000 Dollar. Ich muß mal sehen, wie ich das hinbekomme. Ich arbeite mit denen zusammen, die diese Animationen in Hollywood herstellen. Dabei haben die unvollkommenen Roboter zwar etwas Surrealistisches, aber an sich sind mir die perfekteren Imitationen lieber, denn die akzeptieren wir eher.
Fragen: Hajo Schiff
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